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Dr. Astrid Peterle ist good at kuratieren.

Seit Juni 2023 leitet Dr. Astrid Peterle das kuratorische Team der Kunsthalle
Wien. Zuvor war sie Kuratorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien und für Performance des Donaufestivals in Krems. Im Interview spricht sie mit uns unter Anderem über ihren Werdegang, ihren Zugang zu Kunst im Allgemeinen und was für sie "kuratieren" eigentlich bedeutet.

Dr. Astrid Peterle

Liebe Astrid, danke dass du dir die Zeit nimmst! Du bist ja inzwischen die Leiterin der kuratorischen Programmgestaltung der Kunsthalle in Wien. Das klingt sehr spannend. Was genau ist da dein Aufgabenbereich?

Ich leite das kuratorische Team der Kunsthalle Wien und arbeite eng mit der künstlerischen Leitung What,How & for Whom/WHW zusammen. Was mir besonders viel Freude daran macht, ist, dass diese Position meine verschiedenen beruflichen Interessen vereint – Kunst und Organisation: Ich kann als Kuratorin mit zeitgenössischen Künstler*innen und gleichzeitig in einer leitenden Position eng mit einem wunderbaren Team zusammenarbeiten, das ich organisatorisch, koordinierend und strukturell begleite.

Wie kam es dazu? Erzähl doch mal ein bisschen über deinen Lebensweg. Wir beschäftigen uns ja viel mit Potenzialen von Menschen, und es ist immer spannend, wie jemand zu dem gekommen ist, wer er oder sie heute ist! Was war dein Background, deine Prägung?

Ich habe mich sozusagen im Kindergartenalter in Kunst verliebt, unterstützt und geprägt von einem sehr politisch-linken, an Kultur interessierten Elternhaus, vor allem meiner Mutter. Seit meiner professionellen Tanzausbildung in der Ballettschule des Stadttheaters Klagenfurt und meiner Schulzeit im Musik-Zweig des BRG Viktring hat mich meine Liebe zur Kunst nicht mehr verlassen. Theater und Museen waren für mich schon immer Sehnsuchtsorte, in denen Realitäten kritisch hinterfragt und alternative Lebenswelten denkbar gemacht werden.

„Theater und Museen waren für mich schon immer Sehnsuchtsorte, in denen Realitäten kritisch hinterfragt und alternative Lebenswelten denkbar gemacht werden.“
Ausstellungsansicht: Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022, Kunsthalle Wien 2023, Foto: Klaus Pichler

Hast du immer schon gewusst, was du mal machen möchtest oder hat sich das entwickelt? Was waren deine größten Einflussfaktoren?

Von meiner Mutter habe ich nicht nur die Faszination an der Kunst mitbekommen, sondern auch das Interesse an der Auseinandersetzung mit Geschichte(n). Daher habe ich sowohl Geschichte als auch Kunstgeschichte studiert. Lange gab es aber auch den Wunsch, selbst künstlerisch zu arbeiten, als Kind war Tänzerin mein Traum, dann Schauspielerin. Während des Studiums kristallisierte sich rasch heraus, dass ich lieber über Kunst schreibe, mit Künstler*innen zusammenarbeite, den Dialog mit ihnen suche und organisatorisch künstlerische Produktion ermöglichen möchte. Durch zahlreiche Praktika und Zusammenarbeiten im Choreographie- und Performance-Bereich entstand meine Verwurzelung in dieser Szene hier in Wien. Aber auch die Auseinandersetzung mit Geschichte hat mich in den Bann gezogen und durch meine Tätigkeit am Jüdischen Museum Wien, zuletzt als Chefkuratorin, konnte ich zahlreiche kulturhistorische Projekte umsetzen. Diese von außen mitunter als sehr unterschiedlich wahrgenommenen beruflichen Identitäten, vielleicht sogar kritisch als mangelnde Fokussierung oder Spezialisierung, habe ich selbst immer als große Bereicherung, als für mich lebensnotwendig empfunden. Ich bin ein zutiefst neugieriger und lebenshungriger Mensch, der die Vielfalt sucht. Spezialist*innen gilt meine große Wertschätzung, ich selbst sehe mich aber eher als Generalistin.

Ausstellungsansicht: Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022, mit Werken von Julius Pristauz und Gleb Amankulov, Kunsthalle Wien 2023, Foto: Klaus Pichler
„Ich bin ein zutiefst neugieriger und lebenshungriger Mensch, der die Vielfalt sucht. Spezialist*innen gilt meine große Wertschätzung, ich selbst sehe mich aber eher als Generalistin.“

Welche Menschen haben generell in deinem beruflichen Leben den größten Einfluss gehabt?

Ich hatte das große Glück, von Anfang an mit wunderbaren Freundinnen, Kolleginnen und Chefinnen zusammenarbeiten zu können. Mein beruflicher Weg war und ist von feministischen Mitstreiterinnen geprägt. Ich habe viel Solidarität, Motivation und Unterstützung erhalten und möchte diese auch weitergeben, denn leider sind Antidiskriminierung, antihierarchische Strukturen, antikapitalistische Logiken und Alternativen zur patriarchalen Dominanz auch in der Kunstwelt nicht selbstverständlich.

Was verstehst du eigentlich unter “kuratieren” und warum ist es wichtig?

Kuratieren bedeutet für mich vor allem Fürsorge, ein respektvoller, wertschätzender Umgang mit Künstler*innen, aber auch gegenüber dem Publikum und den Themen, die ich als Kuratorin vermitteln möchte. Ich möchte Künstler*innen unterstützend begleiten und ihnen ermöglichen, ihre Praxis innerhalb eines institutionellen Rahmens, der nach spezifischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert und manchmal auch als einschränkend erfahren werden kann, zu entfalten. Gegenüber dem Publikum sehe ich meine Verantwortung in der Vermittlung der Inhalte, im Entgegenwirken zu Exklusion, Unverständlichkeit und Unzugänglichkeit, in der Arbeit an Öffnung, von der wir alle im Kunstfeld ständig sprechen, aber noch weit entfernt sind.

https://esel.at/album/1481/unfreezing-the-scene-preis-der-kunsthalle-wien-2022

Was fasziniert dich an der Performance Kunst?

Ursprünglich vom sehr konventionell gedachten Tanz und dem Theater kommend, habe ich vor zwanzig Jahren meine Liebe zur Performance Kunst entdeckt. An ihr fasziniert mich die Betonung auf der Erfahrung, die alle Beteiligten dabei machen, aber auch die Flüchtigkeit, die ihr oft innewohnt, wenn das Ereignis ein einmaliges bleibt. Ich habe viele unvergessliche Erfahrungen mit Performance-Kunst gemacht, Momente, die ich nie vergessen werde, weil sie stark mit einer sinnlichen Wahrnehmung verbunden waren oder einer Erkenntnis, die etwas in ein neues Licht für mich gestellt hat.

Ausstellungsansicht: Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022, mit Werken von Raphael Reichl und Vanessa Schmidt, Kunsthalle Wien 2023, Foto: Klaus Pichler
Ausstellungsansicht Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022: Juliana Lindenhofer, Es ist immer romantischer wenn ein Underdog sich hocharbeitet / War das Ende der Freundschaft, 2023, Kunsthalle Wien 2023, Foto: Klaus Pichler
Ausstellungsansicht Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022: Ramiro Wong, What have I escaped? Where, anyway, would I go escape?* [Wovor bin ich geflohen? Wohin sollte ich überhaupt fliehen?*], 2023, Kunsthalle Wien 2023, Foto: Klaus Pichler

Ich weiß, GROSSE Frage, aber ich stelle sie trotzdem: Welche Aufgabe hat Kunst aus deiner Sicht? Oder was tut Kunst, warum gibt es Kunst? Was liebst du daran?

Für mich hat Kunst ganz stark mit einer Erfahrung zu tun, die wir machen, wenn wir uns auf sie einlassen. Und diese Erfahrung kann eine große Wirksamkeit haben, denn sie ermöglicht es, dass wir etwas viel deutlicher wahrnehmen als im Alltag. Und daraus folgt, was ich am allermeisten liebe an der Kunst, dass sie es ermöglicht, Alternativen zur Gegenwart, zu politischen, sozialen, kulturellen Hegemonien, zu diskriminierenden, rassistischen, gewaltvollen Strukturen sicht- und denkbar zu machen. Eine spezifische Aufgabe darf meiner Meinung nach Kunst aber nie haben. Sie kann, muss aber nicht!

Was bedeutet für dich “Kreativität”? Was ist das überhaupt aus deiner Sicht? Und glaubst du, dass künstliche Intelligenz die Kunstwelt verändern wird? Wie groß schätzt du den Einfluss ein?

Kreativität ist für mich nicht primär nur mit Innovation verbunden, sondern vielmehr mit der Fähigkeit, die jeweilige Umwelt analytisch wahrzunehmen und Alternativen zu entwickeln. Die Faszination für KI ist sicherlich auch in der Kunst eine große und manches wird sich, wie generell in allen Bereichen, dadurch verändern. Aber ich sehe schon auch eine große Portion Skepsis und kritische Distanz, die meiner Meinung nach essentiell ist, damit KI nicht als neutrales System verstanden wird, sondern als in den vorherrschenden diskriminierenden, patriarchalen, rassistischen und kapitalistisch-ausbeuterischen Strukturen verankert. Und Versuche, KI für Alternativen zu diesen Strukturen einzusetzen, darauf blicke ich gespannt.

„Eine spezifische Aufgabe darf meiner Meinung nach Kunst aber nie haben. Sie kann, muss aber nicht!“

Was war das Thema deiner Doktorarbeit? Und was hat sich seitdem verändert in dem Thema?

​​Ich habe meine Doktorarbeit in den Nullerjahren zur Frage nach Subversion in der Kunst verfasst und aus einer feministischen Perspektive politische Potentiale von Körperinszenierungen beschrieben. Das waren ziemlich große Schuhe, die ich mir da angezogen habe, eigentlich kann man da nur lustvoll scheitern. Seither hat sich gefühlt alles verändert, die Möglichkeit von nachhaltig wirksamer Subversion schien damals schon gleich Null, vor der Existenz, geschweige denn der heutigen Dominanz von Social Media. Die hat ja auch die Sichtbarkeit von Körperinszenierungen, die ich damals in Fotografie, Performance Kunst und Tanz beschrieben habe, ins unermessliche katapultiert. Langer Rede, kurzer Sinn: Die Arbeit wäre heute zu 100% anders verfasst und vielleicht ließe sich sogar die Fragestellung gar nicht mehr sinnvoll so formulieren.

Was hat die Pandemie mit den Menschen gemacht? Wie war diese Zeit für dich? Auf welche Art spiegelt sich das in den Arbeiten von Künstler:innen wider?

Ich denke, wir werden erst mit einigem Abstand wirklich ermessen können, was die Pandemie, global betrachtet, für katastrophale Auswirkungen hatte. Aus meiner privilegierten Situation, in der ich die Pandemie und diverse Lockdowns ohne existenzielle Ängste durchlebt habe, erscheint es mir zutiefst zynisch, wenn ich an die Zeit als eine der Entschleunigung zurückdenke, in der ich nicht von FOMO getrieben war – den Luxus dieses Gefühls konnten sich die meisten nicht leisten. Für viele Künstler*innen bedeutete die Pandemie eine existenzielle Bedrohung, denn ihre Wirkungsstätten und Einnahmequellen waren von einem Tag auf den anderen inexistent. Die Nachwirkungen dieser Situation lassen sich oft in Arbeiten erkennen, sowohl formell als auch inhaltlich, z.B. durch die Thematisierung von sozialer Isolation, Einsamkeit, Zurückgeworfenheit auf das Ich.

Für alle Interessent:innen:

In der Kunsthalle Wien ist bis 10. September 2023 die von ihr co-kuratierte Ausstellung „Unfreezing the Scene. Preis der Kunsthalle Wien 2022“ zu sehen.

Kurator*innen: Astrid Peterle, Pieternel Vermoortel
Assistenzkuratorin: Hannah Marynissen

Künstler*innen: Gleb Amankulov • Albin Bergström • Alexandru Cosarca • Charlotte Gash • Tijana Lazović • Juliana Lindenhofer • Julius Pristauz • Raphael Reichl • Vanessa Schmidt • Ramiro Wong

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