„Wo langfristig arbeiten, wenn uÌberall Diversity gepriesen, aber bei der Altersfrage ausgelassen wird?“
Age Diversity: Eine Frage der Unehrlichkeit. Zwischen Alltagsschizophrenie, Verfallsdatum und guten VorsÀtzen
âDas ist Michael, der ist schon fast 50. Den musst du bisschen mitziehen, der muss hipper werden.â, eine Anweisung, die ich vor Jahren quasi zum Onboarding mitbekam. Der firmentreue Kollege stach aus der Masse der im Schnitt 30-JĂ€hrigen heraus, wie eine Glasscherbe im Altpapier. Man solle nett mit ihm sein, aber sanft ummodeln, er muÌsse schlieĂlich auch mit den Trends mitgehen, denen er sich so sehr verweigere. Michaels wie diesen findet man mittlerweile nur noch selten. Auch wenn das Wort Diversity in beinahe jeder Stellenanzeige vertreten ist, trifft diese Gleichberechtigung nicht auf die Altersklassen zu. So begegnet man in Unternehmen primĂ€r Zoomern und SpĂ€tmillenials, die als angepriesene Digital Natives den Expertenstatus wahren oder mindestens auf Gruppenbildern hip aussehen. Auf Erfahrungswerte, die sich mit den Berufsjahren summieren, wird nur noch selten gebaut, schlieĂlich zĂ€hlt in Unternehmen das GemuÌse-Prinzip: frisch, jung, knackig. Eine Win-win-Situation: Umgeben sich Kunden nicht erst seit gestern auch lieber mit jungem Blut, und nicht jenen, die genauso viele graue Haare zĂ€hlen, wie sie selbst.
Die faule Generation gern bis 70 arbeiten sehen
Ich wuÌrde gern die Ironie ausstellen, doch es ist bittere RealitĂ€t. WĂ€hrend manche gern ihr Alter aufgrund von Chancengleichheit vertuschen, outet sie die Branche regelmĂ€Ăig in Rankings wie 50 unter 50-jĂ€hrigen Kreativen oder 30 unter 30 was auch immer. Warum muÌssen wir uns in 10er-Schnitten voneinander separieren lassen, um etwas vom Scheinwerferlicht der Prestige-Gesellschaft abzubekommen? Macht die 30 etwas besser als die 50 oder warum ist es uÌberhaupt nennenswert?
Die Fraktion 70 unter 70 hingegen, fuÌr die es bisweilen kein Ranking gibt, wen wundertâs, ist im Einklang mit unseren Politikern: Sie möchten die faule Generation, wie meiner einer, gern noch lange arbeiten sehen. Eine Rolle ruÌckwĂ€rts in Sachen Arbeitsethos â fuÌr einen Jahrgang, der oftmals gerade erst das Wort Work-Life-Balance in ihren Alltag uÌbersetzen konnte.
Das Modell Menschsein ist nicht neu, nur wird es seit Jahren verkompliziert
Wie passen die Werte der Nachkommen â mehr Leben, weniger arbeiten â mit den Vorstellungen der Politik zusammen? Wer soll hier bis ins hohe Alter Geld in die Rentenkasse spuÌlen, wenn kaum jemand noch Sinn in einer 40 Stunden-Plus-Woche sieht? Motiviert man Menschen mit âJetzt sei doch mal fleiĂigerâ, anstatt finanzielle Anreize oder Fortbildungen mit wahrem Mehrwert zu gewĂ€hren? Ich kann diese Fragen nur rein individuell beantworten: Ich möchte nicht bis Ende 60 oder gar 70 arbeiten muÌssen, um meine Rente, mit der allein es sich nicht existieren lĂ€sst, aufzustocken. Geld, das bereits versteuert wurde und auf das nachtrĂ€glich nochmals Steuer anfĂ€llt. Das Modell Menschsein ist nicht neu, nur wird es seit Jahren verkompliziert, sodass das sich drehende Hamsterrad des Seins bis zur eigenen Endlichkeit auf Hochtouren lĂ€uft.
Aber wer möchte schwarzmalen, wenn man sich die mausgraue RealitĂ€t ansehen kann: Eine steigende Arbeitslosenquote mit bester Aussicht auf eine Langzeit-NichtbeschĂ€ftigung, wenn man sich der 50 nĂ€hert oder diese uÌberschritten hat. Ab der Lebensmitte findet man eher Menschen auf Lead-Ebene, doch selbst hier wird lieber das Junge und Wilde gesehen als das Erfahrene mit dem Staub vergangener Erfolge auf den Schultern.
Auf Wiedersehen Alltagsschizophrenie
MuÌssen die, die einst erfolgreich und gut in ihrem Job waren, sich im Alter umorientieren, um weiterhin im Konstrukt Leben zu bestehen und in unsere Gesellschaft zu passen? Oder wird sie sich nochmal von ihrem Höhenflug erholen, nur in etwas Neuem das Bessere zu sehen? Ich wuÌnschte, wir könnten bald sagen: auf Wiedersehen Alltagsschizophrenie. Es fuÌhrt jedoch aktuell kaum ein Weg daran vorbei, sich im Alter mit einer ordentlichen Ladung Pragmatismus der Jobfrage zu stellen. Denn wer möchte einen 60-JĂ€hrigen mindestens noch 10 Jahre beschĂ€ftigen, wenn die ausgebildeten Zoomer bereits an der TuÌr Schlange stehen? Wird aus Michael dem Kreativen irgendwann Michael der DoseneinrĂ€umer? Vielleicht konserviert es sich als Freischaffender besser, ich werde es irgendwann erfahren.
Und so bin ich gespannt und werde Ă€lter, beobachte das Geschehen. Freue mich uÌber das Arbeiten, was ich so sehr liebe. Was ich brauche, um zu existieren. Auch im Alter. Wenn man mich lĂ€sst.