„Es reicht nicht mehr, ab und zu einen Regenbogen zu posten oder ein ‘Statement’ zu formulieren, während die Welt brennt.“
Kippt die Kultur nach rechts? Und was machen die Marken?
Wir spüren das alle, und zwar schon seit Jahren: in den meisten Ländern verschiebt sich der Diskurs deutlich nach rechts. Die „woken“ Stimmen werden leiser. Man spricht von der Unterfinanzierung oder sogar Abschaffung der Diversity- und DEI-Abteilungen. In dieser Post-Woke-Ära halten sich viele Marken lieber zurück. Niemand will provozieren, niemand will potenzielle Kund*innen verlieren und niemand will zum Ziel von rechten Shitstorms werden.
Auf LinkedIn, wie auch so überall, herrscht geradezu Hypernormalisierung – wie im treffenden Guardian-Artikel beschrieben: Wir tun kollektiv so, als sei nichts passiert. Business as usual. Feel-Good-Content. Tipps & Tricks. Tolle Awards, Löwen und Statuen überall. Bloß keine politischen Reibungen, bloß keine Polarisierung.
Die Welt brennt, aber wir unterhalten uns lieber über Sabrina Carpenter. Und ich nehme mich da selbst gar nicht aus – auch ich poste die „sicheren“ Themen und schaue weg. Nur poste ich weniger und überlege oft, ob ich was Sinnvolles zu sagen habe, in diesem Chaos.
Alle wollen unpolitisch bleiben. Aber: In einer Zeit, in der Grundwerte wie Vielfalt, Offenheit und Menschenrechte unter Druck geraten, wird selbst das Schweigen zur Haltung. Die Frage ist also nicht: Sollten Strateg*innen und Marken Position beziehen? Sondern vielmehr: Wie können sie ihre Werte glaubwürdig leben, gerade jetzt, wo der Wind von rechts stärker weht?
Kultur war immer progressiv geprägt. Künstlerinnen, Avantgarde, Meinungsbildnerinnen — sie blickten nach vorne, stellten infrage, zeigten neue Wege auf. Heute kippt auch die Popkultur: Man scrollt durch TikTok und Instagram und sieht plötzlich Tradwives überall (zB bei den White Stripes), rote Kappen und bärtige Männer, die (wait for it) Bier trinken und Steaks grillen. Ironie? Teilweise. Aber viel mehr eine Ästhetik, die klare politische Botschaften transportiert, und sich so neuen Narrativen anpassen.
Und wir? Tun so, als wäre nichts.
Gerade jetzt, wo alle über die Bedeutung von „menschlich bleiben“ im Zeitalter von AI sprechen – über Empathie, Haltung, Werte – wäre es doch widersprüchlich, genau diese Menschlichkeit aus unserem Diskurs auszulassen. Was heißt denn „human“, wenn nicht auch: Haltung zu zeigen, wenn es unbequem ist?
Strateg*innen lieben es, sich über Brand Purpose zu streiten: Ist er sinnvoll? Ist er zukunftstauglich? Es gibt ganze Artikel und Videos da draußen, die Sinek und seinem „WHY“ bestreiten. Es gibt Marketer, die überzeugt sind, dass Purpose nie authentisch sein kann, solange das „ultimative Purpose“ immer Profit heißt. Mag sein.
Aber eines ist klar: Es reicht nicht mehr, ab und zu einen Regenbogen zu posten oder ein „Statement“ zu formulieren, während die Welt brennt. Konsument*innen spüren das. Junge Generationen sowieso.
Gleichzeitig verstehe ich die Unsicherheit. Niemand will in die nächste Polarisierungswelle geraten oder das eigene Business gefährden. Ich nehme diese Angst bei vielen Kolleg*innen wahr.
Manche Marken schaffen es aber ganz gut Stellung zu halten und gleichzeitig Verkaufszahlen zu generieren. Ben & Jerry’s sowieso (eh, klar!) aber auch die viel gehypte Kosmetikmarke E.L.F. zum Beispiel.
Der Raum für progressive, offene Stimmen wird nur dann immer kleiner, wenn wir weggucken. Dann verlieren wir als Branche den kulturellen Resonanzraum, den wir uns eigentlich wünschen und über Jahre erbaut haben.