„Bäume pflanzen, in deren Schatten man selbst nie sitzen wird.“
Jugend ist nicht die Antwort.
»Also bin ich jetzt offiziell alt!«, sagte die 32-jährige Federica Brignone, nachdem sie Ski-Weltmeisterin in der Kombination wurde. Ein Journalist hatte darauf hingewiesen, dass sie jetzt die älteste Siegerin in dieser Disziplin sei. Kreative haben ein ähnliches Verfallsdatum wie Spitzensportler.
Als ich 30 wurde, war ich in Agenturen umgeben von unter Dreißigjährigen. Als ich 40 wurde, war ich umgeben von Zwanzigjährigen. Wie sollte das weitergehen? Kurz bevor ich fünfzig wurde, hatte ich eine Idee – und zwar eine richtig gute: Ich fragte mein Team und mich selbst: »Was wollen wir mit unserer Zeit anfangen? Für wen genau wollen wir unsere Zeit nutzen? Und: In welcher Welt wollen wir eigentlich leben?« Die Antworten meines Teams ließen mich frösteln: »Wir wollen für Kunden in der Kultur arbeiten, weil wir eine Leidenschaft für Kultur haben; und wir wollen für Kunden arbeiten, die sinnvolle Dinge tun, die unsere Gesellschaft weiterbringen.« Kultur und Soziales, dachte ich mir; beides brotlos. Hätte ich bloß nicht gefragt!
Doch die Jungen sollten ihren Willen bekommen: Der Bereich Kunst und Kultur entwickelte sich wirklich erfreulich. Wir bekamen spannende Projekte, die auch gutes Geld abwarfen. Viel wichtiger als die finanzielle Seite: Wir wurden uns durch diese Projekte klar darüber, warum manche Kunden unbedingt mit uns arbeiten wollen und welchen seltenen Rohstoff wir herstellen: Wir lösen komplexe Probleme, an denen Organisationen schon lange zu kauen haben, und wir lösen diese Probleme mit den Mitteln von Kreativen. Das war unsere Superpower, das macht uns zu Alchemisten der digitalen Ära – und genau dafür stellten wir Rechnungen aus. Je klarer wir uns das selbst machten, umso größer wurde die Anziehungskraft für Kunden, die gut zu uns passen. Mein Team tut dieselben Dinge wie vor vier Jahren, doch wir haben den Kontext verändert, in dem wir diese Dinge tun. Ein riesiger Unterschied!
Was wir daraus lernen: Talent ohne Haltung ist nichts wert. Wenn man sein Können für falsche Zwecke einsetzt, oder wenn man zu faul ist, sich zu überlegen, wofür und wofür nicht – das geht garantiert schief. Talent ohne Haltung macht zynisch und krank, es brennt aus und ist einer der Gründe, warum nur wenige in unserer Branche alt werden. Haltung gibt Halt, Orientierung und Sinn. Ich selbst habe meine berufliche Jugend – einen Teil davon – vergeudet, aber rechtzeitig die Kurve gekriegt: Vergeudet, weil ich meine Fähigkeiten ziemlich wahllos eingesetzt habe. Oder für die falschen Zwecke: Awards gewinnen, um Awards zu gewinnen, zum Beispiel. Die Kurve gekriegt habe ich, weil ich mit jungen Menschen über ihre Wünsche und Träume geredet habe – und über meine eigenen. Irgendwie scheint so ein Prozess eine große Energie freizusetzen. Die Auseinandersetzung mit Wert und Werten macht frisch, jung und stark. Ihr müsst nicht warten, bis ihr fünfzig seid, so wie ich. Ihr könnt euch schon mit dreißig eure Vergänglichkeit zunutze machen.
Setzt euch mit Greisen und Greisinnen auf eine Parkbank. Oder schaut euch einen Film an, genauer »Youth«, von Paolo Sorrentino: In einer Kuranstalt in den Alpen diskutieren zwei berühmte Freunde in ihren Achtzigern über Sterblichkeit, Liebe und Kreativität, während sie sich dem Ende ihrer künstlerischen Karriere nähern. Je früher im Leben man sich diesen Film ansieht, desto besser: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit wirkt befreiender als vieles andere.
Bäume pflanzen hilft auch: Simon Sinek (Why, How, What?) fragt Scott Galloway (Prof. G) in seinem Podcast, was ihn optimistisch in die Zukunft blicken lässt. Scott: »The young generation is more talented, they are more skilled with technology, they are more productive. People are planting more trees, the shade of which they will not sit under, than in any other time in history. That’s a good reason to be optimistic.« Bäume pflanzen, in deren Schatten man selbst nie sitzen wird: Jugend ist nicht die Antwort – Haltung ist die Antwort.