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Good At Kolumne: Christian Salić 

Was passiert, wenn ein Werber die Fachartikel weglegt und wieder Romane liest? Christian Salić  erzählt von Thomas Bernhard, Truth Social und der Rückkehr zur Sprache. Von Ideen, die nicht im Feed entstehen, sondern auf Papier. Und davon, warum sich Kreativität nicht auf Awards, Tools oder Buzzwords reduzieren lässt, sondern manchmal genau dann entsteht, wenn man woanders hinschaut.
„Sie bringen der deutschen Sprache das Tanzen bei.“

Die Ideen sind anderswo.
Wenn alle dasselbe lesen, dieselben Design-Blogs anschauen, dieselben Fachartikel anklicken, bei denselben Awards einreichen: Warum sollte am Ende etwas Außergewöhnliches herauskommen? Was euch wirklich auf frische Gedanken bringt: Das erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Am 12. Februar 1989 habe ich aufgehört, Romane zu lesen. Das war der Tag, als Thomas Bernhard starb. Ich war damals 20 und beschloss, selbst ein Kreativer zu werden. Genauer: ein Werbetexter. Und statt Romanen las ich fortan Fachzeitschriften, Awardbücher und Lürzers Archiv, falls das noch wer kennt.

Damit war ich in der Falle: Denn ich schaute nur noch dasselbe wie alle anderen in der Branche. Und schlimmer noch: ich verwechselte die neueste Technologie mit der frischen Idee. Romane rochen plötzlich nach altem Sauerkraut und waren furchtbar altmodisch. Im Internet mit 36k Modems surfen? Revolutionär! E-Mails verschicken am iPhone? Bäm! Auf Social Media posten? Bäm, Bäm, Bäm! Mit künstlicher Intelligenz Bilder vom Papst in weißen Daunenjacken erzeugen: Über-Bäm!

Dann kamen die Kinder, die Karriere, das Business. Erst recht keine Zeit für Romane. Doch irgendwann stieg dieses Gefühl in mir hoch: Digitalagenturen machen auch irgendwie nichts wirklich Spannendes. Als ich wieder gelangweilt war vom neuesten Fachkommentar über agile Methoden und künstliche Intelligenz, kam mir ein Roman zwischen die Finger. Und dann noch einer. Und noch einer. Alles Werke von Frauen und Männern aus Österreich in ihren 20-igern und 30-igern. Junge Leute schreiben etwas anderes als Emojis? OK, ich war beeindruckt.

Findet hier eine kreative Revolution statt? Ausgerechnet in dieser uralten, literarischen Gattung Roman? Auf Papier gedruckt? Eine neue Generation bedient sich der Tricks von Thomas Mann, verwurstet Virginia Woolf, haut alles über den Haufen und plötzlich wirkt es, als wäre Literatur gerade erst erfunden worden.

Am 23. August 2021 habe ich wieder begonnen, Romane zu lesen: schuld daran ist Elias Hirschl mit »Salonfähig«. Die Ära Kurz spannender verdichten als jeder Aufdeckungsjournalist? Kein Problem! Eine Sprache gestalten, die man so noch nicht gehört hat? Standard! Dinge, die viel später im sehr empfehlenswerten Podcast »Dunkelkammer« aufgedeckt wurden: Hirschl hat über sie geschrieben, bevor sie überhaupt passiert sind.

 

Eine Sprecherin Donald Trumps sagte neulich: »Der Präsident hat das auf Truth Social geschrieben. Also ist damit klar, dass es sich um die reine Wahrheit handelt.« Truth Social, sie verstehen. Ob Sie das neueste Werk von Raphaela Edelbauer gelesen hatte? »Die echtere Wirklichkeit« hat mich umgehauen. Echter? Wie lässt sich Wirklichkeit steigern? Du beginnst zu lesen, inhalierst so nebenbei ein philosophisches Proseminar und fragst dich: Warum nennt die Autorin ihre Ich-Erzählerin bloĂź Byproxy? Und warum kämpft eine Terrorgruppe namens Aletheia ausgerechnet fĂĽr die absolute Wahrheit? Verschwörungstheorien, Fehlinformationen und alternative Wahrheiten sind die Plagen unserer Zeit. Bevor die Geschichte richtig losgeht, steht zu lesen: „Es gibt nur eine Wahrheit und sie ist absolut.“ – Da haben wir das Schlamassel!

Drittes Beispiel: Tonio Schachinger beschreibt in »Nicht wie ihr« die unglückliche Liebe des österreichischen Fußballprofis Ivo. Ivo hat Yugo-Wurzeln, so wie ich. Nach 5 Seiten habe ich begonnen, den Autor zu stalken: Wie schafft es dieser Schachinger, ein Sohn aus besserem Haus, aus einer Familie von Diplomaten, so echt über die Innenwelt eines Yugo-Kickers zu schreiben? Wie trifft man bloß so präzise den Ton und lässt eine Liebesgeschichte so frisch wirken, als wäre sie die erste Lovestory in der Geschichte der Menschheit? Und überhaupt: Warum weiß der Schachinger besser, wie man sich als Yugo fühlt in Österreich, als ich selbst? Unpackbar.

Als Ideenmensch kann man sich hier eine Menge abschauen: Dinge aus ungewöhnlichen Blickwinkeln betrachten, den richtigen Vibe finden, eine einzigartige Tonalität prägen oder gewohntes völlig neu und ungewohnt wirken lassen. Kurz: man findet Inspiration, um selber auf Entdeckungsreise zu gehen – und das fühlt sich richtig gut an.

Früher haben alle Werbetexter die Krimis von Wolf Hass gelesen. Die Copies für alle Inserate und alle Marken klangen plötzlich nach Wolf Haas. Bis es wieder so weit ist, bis der nächste Wolf Haas die Gehirne aller Texterinnen und Texter des Landes okkupiert, lest die jungen Österreicherinnen und Österreicher: Sie bringen der deutschen Sprache das Tanzen bei. Oder hört euch wenigstens Stefanie Sargnagels »Iowa« als Hörspiel an auf Ö1.

Lesetipps:

Raphaela Edelbauer: Die echtere Wahrheit
Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen
Babi Markovic: Pixie Buch
Elias Hirschl: Salonfähig
Elias Hirschl: Content
Tonio Schachinger: Nicht wie ihr

Stefanie Sargnagel, Iowa (Hörspielfassung)

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