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Good At Kolumne: Doris Himmelbauer

Doris Himmelbauer, eine freiberufliche Fotografin im kommerziellen und redaktionellen Bereich, wagte mit 22 Jahren den Schritt nach London, um sich weiterzuentwickeln. Nach Jahren als In-House Fotografin in einem Industriekonzern spürte sie den Drang nach mehr: Abwechslung, Herausforderung, Weiterbildung, Möglichkeiten und Abenteuer. In ihrer ersten Kolumne für uns teilt sie ihre Erfahrungen, wie es für sie war, in ein völlig neues Umfeld hineinzuwachsen und reflektiert über all diese Aspekte.
„Veränderung passiert nicht einfach so, man muss sich aktiv dafür entscheiden.“

EIN PLÄDOYER AN DAS UNBEKANNTE

Als ich 22 Jahre alt war, habe ich beschlossen, ins Ausland zu gehen. Ich hatte das Glück, mich schon relativ früh in meiner beruflichen Laufbahn einzufinden. Nach meiner Ausbildung an einer Grafik- & Kommunikationsdesign HTL nahm ich eine Position als In-House Fotografin in einem großen Industriekonzern an. Die Arbeit dort war spannend, ich war im Konzernmarketing angesiedelt, arbeitete in meinem eigenen Studio und war verantwortlich für die Konzeption und Erstellung des internen und externen Bildmaterials. Es war ein breit gefächerter Aufgabenbereich. Ich war anfangs sehr gefordert, wuchs schnell in meine Aufgaben rein. Der Job war gut, die Konditionen auch und dennoch merkte ich nach ein paar Jahren, wie repetitiv sich diese Arbeit für mich anfühlte.

Mir wurde bewusst, wie groß mein Drang nach Veränderung war. Ich wollte mehr. Mehr Abwechslung, mehr Herausforderung, mehr Weiterbildung, mehr Möglichkeiten, mehr Abenteuer. Eher aus einem Impuls als aus Rationalität heraus habe ich mich für einen Studiengang an einer englischen Universität beworben. Because, why not? Ich war mir meines Handelns durchaus bewusst, hatte aber zu diesem Zeitpunkt weder große Hoffnungen noch eine Vorstellung, was es bedeuten würde, tatsächlich genommen zu werden. Unabhängig davon war ich vorher noch kein einziges Mal in England und wusste generell relativ wenig über längere Auslandsaufenthalte, Studiengänge oder Studiengänge im Ausland. But you know, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, heißt es bekanntlich.

Die Bewerbungsphase lief gut, ich habe meinen Job zurückgelegt, die Wohnung aufgegeben und saß mit einem One-Way-Ticket in einem Flugzeug nach London. Alles ging so schnell, dass ich nicht die Zeit hatte, mir groß Gedanken über die Tragweite meines Handelns zu machen. Durch meinen damaligen Job hatte ich genug Erspartes, um mir die Studiengebühren und die ersten paar Monate Leben leisten zu können. Im ersten Jahr konnte durch die Bildungskarenz auch die Miete meines Zimmers gedeckt werden. Ich fühlte mich bereit, save und war im richtigen Maße aufgeregt.

Als ich dann endlich in meiner ersten Vorlesung saß und ich (nicht nur dem britischen Akzent geschuldet) kaum verstand, worum es ging, ist er dann gekommen: der Reality Hit. Full force. Ohne Erbarmen. Ich saß dort und weiß auch jetzt noch ganz genau, wie ich mich damals gefühlt habe. Der einzige Gedanke, den ich gehabt habe, war: „F*ck, what did I do?“

Und das war gut so. Aus einem Jahr wurden zwei, aus zwei wurden drei. Schlussendlich blieb ich fünf Jahre in dieser fantastischen Stadt und habe selbst verständlichst meinen Platz dort eingenommen. Es gibt Vieles zu erzählen über diese Zeit in England. Ich habe weitaus mehr gelernt als mir auf der Uni geboten wurde. Ich wechselte meine Wohnungen wie andere die Bettwäsche. Ich arbeitete mehrere Jobs zeitgleich, die streckenweise länderübergreifend bedient wurden. Es wurden Freundschaften geschlossen, die bis jetzt anhalten. Es war nicht immer einfach, aber es war gut. Ich entwickelte mich so schnell auf so vielen Ebenen weiter, dass die akademische Komponente rückblickend schon fast nebensächlich war.

 

Was aber wirklich wesentlich ist und mich nachhaltig als Mensch geprägt hat, ist die Erkenntnis, wie wichtig es ist auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Den eigenen Instinkten folgen, Platz für Neues zuzulassen und einfach mal sehen, wohin die Reise geht.

Mit meinem Umzug in eine neue Stadt habe ich mir Raum geschaffen, nicht nur physisch, auch metaphorisch. Freiraum, der befüllt werden wollte. Alles in der ersten Zeit dort war für mich neu und unbeschrieben. Frei von Gewohnheiten. Diese Unberührtheit ist unglaublich inspirierend. Ständig werden einem neue Informationen vor die Füße gespült und selbst die alltäglichsten Dinge („WLAN“ heißt nicht „double-u-LAN“, „Wie sehen die Supermärkte aus und in welchen kann man Adapter für diese weirden Steckdosen kaufen?“, oder „Wie bekommt man aus zwei seperaten Hot & Cold Wasserhähnen mittelwarmes Wasser?“) lassen die Kreativität nur so sprudeln.

Sich in einem völlig neuen Umfeld einzufinden erfordert eine gewisse Wendigkeit, Leichtigkeit und Neugier. Es kitzelt einem auf selbstverständliche Art und Weise eine frische Sicht auf die alltäglichen Dinge raus. Man entscheidet sich nicht nur aktiv für ein neues Umfeld, man nimmt es auch anders wahr. Man erlebt bewusster und öffnet sich automatisch Neuem. Dieser „certain sense of wonder“ (manche Dinge lassen sich nicht ordentlich ins Deutsche übersetzen) ist in einer neuen Umgebung allgegenwärtig.

Ich habe das vorher in meinem gewohnten Umfeld nicht wahrgenommen. Ich sage nicht, dass man das Rad zwingend neu erfinden und bei der kleinsten Schaffenskrise die Koffer packen sollte. Ganz im Gegenteil für mich war diese Erfahrung eigentlich nur der Schlüssel zu dieser Erkenntnis. Ich glaube, unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein muss immer und immer wieder geschärft werden. Ein Schritt zurück vom Gewohnten öffnet den Blick auf Neues (und das geht – sofern man sich dessen bewusst ist – auch ganz gemütlich von der eigenen Couch aus).

Städte bleiben, Dinge verändern sich. Das Leben passiert. Die Welt bewegt sich und wir sehen dabei zu. Wir haben nur begrenzte Kontrolle darüber, daher ist es umso wichtiger, sich dessen bewusst zu sein und die Dinge zu spüren und zu verstehen, wenn sie geschehen. Alles hat ihre Zeit. Man spürt es, wenn es so weit ist. Diesem Gespür darf man ruhig nachgehen, selbst wenn die Details noch nicht (ganz) ausgefeilt sind. Veränderung passiert nicht einfach so, man muss sich aktiv dafür entscheiden. Am Ende sind wir allein die Kurator:innen unserer Timeline.

Am wichtigsten ist: Trust your gut, make space, be aware and always, always stay hungry.

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