âVerĂ€nderung passiert nicht einfach so, man muss sich aktiv dafuÌr entscheiden.“
EIN PLĂDOYER AN DAS UNBEKANNTE
Als ich 22 Jahre alt war, habe ich beschlossen, ins Ausland zu gehen. Ich hatte das GluÌck, mich schon relativ fruÌh in meiner beruflichen Laufbahn einzufinden. Nach meiner Ausbildung an einer Grafik- & Kommunikationsdesign HTL nahm ich eine Position als In-House Fotografin in einem groĂen Industriekonzern an. Die Arbeit dort war spannend, ich war im Konzernmarketing angesiedelt, arbeitete in meinem eigenen Studio und war verantwortlich fuÌr die Konzeption und Erstellung des internen und externen Bildmaterials. Es war ein breit gefĂ€cherter Aufgabenbereich. Ich war anfangs sehr gefordert, wuchs schnell in meine Aufgaben rein. Der Job war gut, die Konditionen auch und dennoch merkte ich nach ein paar Jahren, wie repetitiv sich diese Arbeit fuÌr mich anfuÌhlte.
Mir wurde bewusst, wie groĂ mein Drang nach VerĂ€nderung war. Ich wollte mehr. Mehr Abwechslung, mehr Herausforderung, mehr Weiterbildung, mehr Möglichkeiten, mehr Abenteuer. Eher aus einem Impuls als aus RationalitĂ€t heraus habe ich mich fuÌr einen Studiengang an einer englischen UniversitĂ€t beworben. Because, why not? Ich war mir meines Handelns durchaus bewusst, hatte aber zu diesem Zeitpunkt weder groĂe Hoffnungen noch eine Vorstellung, was es bedeuten wuÌrde, tatsĂ€chlich genommen zu werden. UnabhĂ€ngig davon war ich vorher noch kein einziges Mal in England und wusste generell relativ wenig uÌber lĂ€ngere Auslandsaufenthalte, StudiengĂ€nge oder StudiengĂ€nge im Ausland. But you know, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, heiĂt es bekanntlich.
Die Bewerbungsphase lief gut, ich habe meinen Job zuruÌckgelegt, die Wohnung aufgegeben und saĂ mit einem One-Way-Ticket in einem Flugzeug nach London. Alles ging so schnell, dass ich nicht die Zeit hatte, mir groĂ Gedanken uÌber die Tragweite meines Handelns zu machen. Durch meinen damaligen Job hatte ich genug Erspartes, um mir die StudiengebuÌhren und die ersten paar Monate Leben leisten zu können. Im ersten Jahr konnte durch die Bildungskarenz auch die Miete meines Zimmers gedeckt werden. Ich fuÌhlte mich bereit, save und war im richtigen MaĂe aufgeregt.
Als ich dann endlich in meiner ersten Vorlesung saĂ und ich (nicht nur dem britischen Akzent geschuldet) kaum verstand, worum es ging, ist er dann gekommen: der Reality Hit. Full force. Ohne Erbarmen. Ich saĂ dort und weiĂ auch jetzt noch ganz genau, wie ich mich damals gefuÌhlt habe. Der einzige Gedanke, den ich gehabt habe, war: âF*ck, what did I do?â
Und das war gut so. Aus einem Jahr wurden zwei, aus zwei wurden drei. Schlussendlich blieb ich fuÌnf Jahre in dieser fantastischen Stadt und habe selbst verstĂ€ndlichst meinen Platz dort eingenommen. Es gibt Vieles zu erzĂ€hlen uÌber diese Zeit in England. Ich habe weitaus mehr gelernt als mir auf der Uni geboten wurde. Ich wechselte meine Wohnungen wie andere die BettwĂ€sche. Ich arbeitete mehrere Jobs zeitgleich, die streckenweise lĂ€nderuÌbergreifend bedient wurden. Es wurden Freundschaften geschlossen, die bis jetzt anhalten. Es war nicht immer einfach, aber es war gut. Ich entwickelte mich so schnell auf so vielen Ebenen weiter, dass die akademische Komponente ruÌckblickend schon fast nebensĂ€chlich war.
Was aber wirklich wesentlich ist und mich nachhaltig als Mensch geprĂ€gt hat, ist die Erkenntnis, wie wichtig es ist auf das eigene BauchgefuÌhl zu hören. Den eigenen Instinkten folgen, Platz fuÌr Neues zuzulassen und einfach mal sehen, wohin die Reise geht.
Mit meinem Umzug in eine neue Stadt habe ich mir Raum geschaffen, nicht nur physisch, auch metaphorisch. Freiraum, der befuÌllt werden wollte. Alles in der ersten Zeit dort war fuÌr mich neu und unbeschrieben. Frei von Gewohnheiten. Diese UnberuÌhrtheit ist unglaublich inspirierend. StĂ€ndig werden einem neue Informationen vor die FuÌĂe gespuÌlt und selbst die alltĂ€glichsten Dinge (âWLANâ heiĂt nicht âdouble-u-LANâ, âWie sehen die SupermĂ€rkte aus und in welchen kann man Adapter fuÌr diese weirden Steckdosen kaufen?â, oder âWie bekommt man aus zwei seperaten Hot & Cold WasserhĂ€hnen mittelwarmes Wasser?â) lassen die KreativitĂ€t nur so sprudeln.
Sich in einem völlig neuen Umfeld einzufinden erfordert eine gewisse Wendigkeit, Leichtigkeit und Neugier. Es kitzelt einem auf selbstverstĂ€ndliche Art und Weise eine frische Sicht auf die alltĂ€glichen Dinge raus. Man entscheidet sich nicht nur aktiv fuÌr ein neues Umfeld, man nimmt es auch anders wahr. Man erlebt bewusster und öffnet sich automatisch Neuem. Dieser âcertain sense of wonderâ (manche Dinge lassen sich nicht ordentlich ins Deutsche uÌbersetzen) ist in einer neuen Umgebung allgegenwĂ€rtig.
Ich habe das vorher in meinem gewohnten Umfeld nicht wahrgenommen. Ich sage nicht, dass man das Rad zwingend neu erfinden und bei der kleinsten Schaffenskrise die Koffer packen sollte. Ganz im Gegenteil fĂŒr mich war diese Erfahrung eigentlich nur der SchluÌssel zu dieser Erkenntnis. Ich glaube, unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein muss immer und immer wieder geschĂ€rft werden. Ein Schritt zuruÌck vom Gewohnten öffnet den Blick auf Neues (und das geht – sofern man sich dessen bewusst ist – auch ganz gemuÌtlich von der eigenen Couch aus).
StĂ€dte bleiben, Dinge verĂ€ndern sich. Das Leben passiert. Die Welt bewegt sich und wir sehen dabei zu. Wir haben nur begrenzte Kontrolle daruÌber, daher ist es umso wichtiger, sich dessen bewusst zu sein und die Dinge zu spuÌren und zu verstehen, wenn sie geschehen. Alles hat ihre Zeit. Man spuÌrt es, wenn es so weit ist. Diesem GespuÌr darf man ruhig nachgehen, selbst wenn die Details noch nicht (ganz) ausgefeilt sind. VerĂ€nderung passiert nicht einfach so, man muss sich aktiv dafuÌr entscheiden. Am Ende sind wir allein die Kurator:innen unserer Timeline.
Am wichtigsten ist: Trust your gut, make space, be aware and always, always stay hungry.