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Good At Kolumne: Julia Naber

Was passiert, wenn eine Digitalstrategin auf ihre eigene Timeline schaut und merkt, dass etwas fehlt? Julia Naber schreibt über die Spannung zwischen System und Szene, zwischen Ad-Klicks und echten Momenten. Über Abende, die man sich einträgt, statt durchscrollt. Und über Marken, die nicht nur performen, sondern dazugehören.
„Werbung ist so allgegenwärtig geworden, dass sich Ruhe inzwischen verkaufen lässt.“

Marken zwischen System und Szene

Wer heute im Online-Marketing arbeitet, kennt zwei sehr unterschiedliche Bilder. Auf der einen Seite optimieren wir Kampagnen, als wäre Aufmerksamkeit ein Rohstoff, den man fein dosieren kann. Auf der anderen Seite verkaufen dieselben Plattformen inzwischen Abos dafür, in Ruhe gelassen zu werden, und wir gehen abends trotzdem zu Veranstaltungen, bei denen Marken eine Rolle spielen.

Zwischen diesen beiden Welten – hochoptimierten Kampagnensystemen und bewusst gewählten Abenden – liegt das Feld, in dem Marken 2026 unterwegs sind.

Werbung zum Wegklicken

Plattformen wie Meta bieten in Europa kostenpflichtige, weitgehend werbefreie Versionen ihrer Dienste an. Wer zahlt, sieht weniger Anzeigen und wird weniger getrackt. Wer nicht zahlt, bleibt im datengetriebenen System, mit personalisierten Ads, die möglichst gut passen sollen.

Man kann lange darüber diskutieren, ob dieses Modell fair ist. Für die Kommunikation reicht eine einfache Beobachtung: Werbung ist so allgegenwärtig geworden, dass sich Ruhe inzwischen verkaufen lässt.

Der Reflex im Alltag ist den meisten von uns vertraut: Newsletter abbestellen, Notifications ausschalten, „Nur notwendige Cookies“ zulassen, Ad-Blocker installieren. Nicht, weil jede Anzeige schlecht wäre, sondern weil es irgendwann zu viel wird.

Ich merke das auch bei mir selbst: Tagsüber plane ich Funnels, Zielgruppen, Creatives. In meiner Freizeit tippe ich mich genauso durch Cookie-Banner, scrolle über Werbung schneller hinweg, skippe Story-Ads oder schließe direkt die App. Wir bauen Systeme, in denen Aufmerksamkeit immer feiner verwertet wird und bewegen uns gleichzeitig wie alle anderen darin. Dass sie inzwischen zur Abo-Option geworden ist, bringt diesen Widerspruch ziemlich gut auf den Punkt.

 

Abende, für die man losgeht

Zur gleichen Zeit entstehen Formate, die in keinem Ads-Manager auftauchen und trotzdem etwas mit Marken zu tun haben.

Im Museumsquartier steht ein Hydration-Bus von Vitamin Well, davor Pilatesmatten im Hof. Im Votivkino laufen Filme, während Menschen im Halbdunkel stricken. Und in einer kleinen Buchhandlung wie Hafi Books oder Concept-Stores wie OTOTO sitzen abends Leute zusammen, stricken oder lesen.

Nichts davon ist „disruptiv“, sondern einfach Abende, für die man sich bewusst Zeit nimmt. Für Menschen, die mit Online-Kampagnen arbeiten, fühlt sich das nicht wie der große Gegenentwurf an, sondern wie eine andere Logik. Hier geht es weniger darum, möglichst oft aufzutauchen, sondern darum, überhaupt einen Platz in der Routine von Menschen zu bekommen.

Natürlich hängt auch das mit Marketing zusammen. Die meisten dieser Formate wären ohne Planung, Budgets und Partner:innen nicht da. Aber der Fokus verschiebt sich: weg von „Wie oft sieht man uns?“ hin zu „Wo gehören wir glaubwürdig dazu?“.

Vielleicht sind die spannendsten Marken der nächsten Jahre nicht die, die am meisten Daten über uns sammeln, sondern die, die wir bewusst in unserer Freizeitplanung wiederfinden.

System und Szene

Genau da liegt die Spannung: Marken müssen im System funktionieren – mit Media, Daten, Performance – und gleichzeitig in Szenen vorkommen, die sich nicht sauber zählen lassen. Das eine zahlt Rechnungen, das andere stiftet Zugehörigkeit.

Wenn ich an 2026 denke, sehe ich Marken, die beides zulassen. Sie nutzen das System, weil es Reichweite und Effizienz bringt. Und sie vergessen nicht, dass wir uns an Abende, Räume und Menschen anders erinnern als an Ad-Impressions.

Das Unangenehme an diesem Gedanken: Im Marketing können wir heute jede Bewegung im Funnel nachzeichnen, aber wir wissen oft nicht, wo Menschen sind, wenn sie nicht auf unsere Ads klicken. Genau dort entscheidet sich, ob wir für sie bloß Teil des Systems bleiben, oder Teil einer Szene, die wirklich zu ihrem Leben gehört.

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