„Wenn alles technisch reproduzierbar ist, wird das Unperfekte zum Beweis von Echtheit.“
Human is the New Organic – Braucht menschliche Arbeit bald ein Gütesiegel?
Lasst uns direkt in eine Szene aus dem Film „Her“ springen:
Wir sehen Theodore, einen sensiblen Mann, der dafĂĽr bezahlt wird, Liebesbriefe und GlĂĽckwunschkarten fĂĽr andere zu schreiben. Nicht um die richtigen Worte zu finden, sondern um Texte menschlich klingen zu lassen. Verletzlich, unperfekt, lebendig.
Als ich mir damals den Film angesehen hab, fand ich die Szene befremdlich. Wer würde dafür ernsthaft Geld ausgeben? Warum sollte ein Fremder meine Gefühle besser ausdrücken können, als ich?
Doch erst jetzt verstehe ich langsam, dass das nicht die eigentliche Aussage war. Es ging in der Szene nie darum, besser zu schreiben, sondern das Menschliche zurĂĽck in Texte zu bringen.
Zukunftsthema? Eher nein. Wir stehen längst an einem Punkt, an dem Menschen dafür bezahlt werden, Texte „menschlich“ klingen zu lassen. Nicht um den „perfekten“ Text zu schreiben, sondern um etwas zu erzeugen, das Maschinen nicht können: Nähe.
Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie viele Texte schon so wenige Jahre nach dem Launch von ChatGPT mittels KI erstellt werden. Selbst schreiben wird zum Luxusgut. Aus Bequemlichkeit, aus eigenem Anspruch, „perfekt“ zu sein.
Was dadurch jedoch zwingend passiert: Unseren Texten fehlt es an Ecken und Kanten. Sie werden austauschbar, distanziert, nüchtern. Es wird nicht mehr lange dauern, bis KI-generierte Texte völlig die Oberhand gewinnen.
Die Gegenbewegung?
Ghostwriting fürs Persönliche boomt.
Reden, Profile, LinkedIn Posts, Bumble Bio – Menschen lassen andere schreiben, um selbst authentischer zu wirken. Was absurd klingt, macht Sinn: Wenn alles technisch reproduzierbar ist, wird das Unperfekte zum Beweis von Echtheit.
Denn, wenn wir uns ehrlich sind: Wir sehnen uns nach Handschrift, nicht nach Handwritten Fonts. Nach Worten, die stolpern dürfen. Nach Sätzen, die leben. Und jetzt beobachten wir langsam das, was früher nur in Nischen gedacht wurde: Authentizität wird zertifiziert.
Der britische Verlag Faber hat für Sarah Halls neuen Roman erstmals ein „Human Written“-Label aufs Cover gedruckt, als Herkunftsnachweis menschlicher Arbeit. Die US Authors Guild geht noch weiter: Autor:innen können ihr Werk offiziell als „Human Authored” zertifizieren lassen. Und damit hervorstreichen, wie viel ihrer Arbeit tatsächlich von ihnen und nicht von der KI stammt. Wir nähern uns also dem Punkt, an dem „human made“ ein Qualitätsmerkmal wird.
Ich sag’s, wie’s ist: Wir stehen nicht am Ende der Kreativität, wir stehen am Anfang ihrer Neubewertung. Früher haben wir für Ideen bezahlt. Heute bezahlen wir für Nähe. „Made by Humans“ wird ein Gütesiegel für alles, was sich nicht automatisieren lässt: Haltung, Ton, Intuition, Zwischentöne.
Vielleicht wird Schreiben bald als Handwerk gelten. Wie Töpfern. Oder Tischlern. Oder Brotbacken. Wer weiß, vielleicht führt uns KI gar nicht in eine Zukunft der Maschinen, sondern zurück zu alten Werten: Handwerk, Handschrift, Haltung?
Zur simplen, aber radikalen Frage: Wer hat das wirklich gemacht?