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Good At Kolumne: Sarah Satt

Sarah Satt ist strategische Texterin mit 15 Jahren Erfahrung sowie Autorin und Ghostwriterin preisgekrönter Kochbücher. Sie unterstützt Unternehmen und Marken aus den Bereichen Food, Gastronomie und Tourismus dabei, ihre Stimme zu finden und sowohl offline als auch online starke Geschichten zu erzählen. In ihrer Kolumne beleuchtet sie, welche Aspekte notwendig sind, um mit kreativer Arbeit herauszustechen. Die eigene Perspektive nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Warum das so ist und wie man diese findet, erfährst du in Sarahs Kolumne.

„Ein wesentlicher Aspekt von Kreativität ist die Fähigkeit, Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so Lösungen zu finden, die andere nicht sehen.“

Als Kreative:r ist deine Perspektive, deine Nische.

Heute hat jede:r von uns hat Zugang zu denselben Informationen, kann sich dieselben Skills aneignen und dieselben Tools nutzen. FĂĽr kreative Arbeit, die aus der Masse heraussticht, ist eines daher unverzichtbar: die eigene Perspektive.

Zum ersten Mal richtig bewusst geworden ist mir das an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften. Obwohl mein Master am Hogwarts für Esskultur inzwischen mehr als 10 Jahre zurückliegt, sehe ich die großen Einmachgläser noch vor mir – gefüllt mit Notizen und symbolhaften Gegenständen von mir und meinen Kommiliton:innen. Unsere Aufgabenstellung: erforschen, wie sich Erinnerungen, Tradition und Kultur bestmöglich konservieren lassen. Zuvor hatten wir sieben Tage lang gemeinsam die Esskultur von Istanbul erkundet und dazu Produzent:innen, Gastronom:innen und Medienmacher:innen getroffen. Wir hatten dieselben Betriebe besichtigt, an denselben Tischen Platz genommen und mit denselben Menschen gesprochen. Als wir aber unsere eindrücklichsten Erinnerungen über den randvollen Einmachgläsern Revue passieren ließen, fragte ich mich, ob manche von uns an einem Alternativprogramm teilgenommen hatten, von dem ich nichts wusste. Die Dinge, die jeder und jedem von uns bemerkenswert erschienen waren, hätten kaum unterschiedlicher sein können.

Jahre später bin ich auf den französischen Begriff déformation professionelle gestoßen. Er bezeichnet die Art, wie unser Beruf auf unser privates Verhalten abfärbt. Wer darüber den Kopf schüttelt, der hat meine Mama, eine pensionierte Direktorin, noch nicht beobachtet, wie sie mit gezücktem Rotstift die Zeitung liest, und war mit meinen befreundeten Restaurantkritikerinnen nie auswärts essen. Der Effekt geht aber über ein geschultes Auge oder einen solchen Gaumen hinaus: Unser Tun prägt wie wir denken und die Welt sehen – das gilt für Hobbies genauso wie für die eigene Vorgeschichte. In meinem Studienjahrgang trafen Menschen im Alter von Anfang Zwanzig bis Ende Fünfzig aus 13 verschiedenen Ländern mit Backgrounds in englischer Literatur, Internationaler Entwicklung oder Jus zusammen. An freien Tagen probten die einen mit dem Chor, während andere einheimische Jäger auf die Pirsch begleiteten oder am Businessplan für ihr Start-up feilten. Déformation professionelle galore! Entsprechend verschieden waren unsere Linsen, durch die wir das gemeinsam Erlebte wahrnahmen.

 

Ein wesentlicher Aspekt von Kreativität ist die Fähigkeit, Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so Lösungen zu finden, die andere nicht sehen. Das macht die eigene Perspektive – diese Mischung aus Fachkompetenz, persönlichem Erfahrungsschatz und individuellen Interessen, die eine einzigartige Sicht auf die Welt ermöglicht – zu einem der wichtigsten und zugleich unterschätztesten Assets von Kreativen. Kolleg:innen, die nicht für ihre Dienstleistungen, sondern ihrer Handschrift oder ihres Stils wegen gebucht werden, haben das erkannt und nutzen ihre Perspektive gekonnt als Nische. Eine Nische, durch die sie nicht Gefahr laufen, irgendwann eingeschränkt zu werden, weil sie sich ständig mit ihnen entwickelt.

Wie kultiviert man also die eigene Perspektive? Indem man sich von seinem Interesse leiten lässt – insbesondere an Orte, die im Lebenslauf keinen Sinn ergeben. Die Sache ist nämlich die: Um auf lange Sicht kreativ (und gesund und zufrieden) zu sein, müssen wir uns für mehr als für unsere Arbeit interessieren. Sonst wäre ich gar nicht erst an der Uni im Piemont gelandet. Hätte ich meinen Agentur-Schreibtisch nie verlassen, hätte ich bestimmt keine Benefiz-Rallye wie die Vienna Foodie Quest ins Leben gerufen und würde heute nicht mit Gastronom:innen zusammenarbeiten, die mit ihren Visionen die heimische Kulinarik prägen. Einen Roman hätte ich wahrscheinlich trotzdem irgendwann geschrieben. Ob dieser auch in Kalabrien und Istanbul spielen würde?

Sich bewusst zu werden, was einen fasziniert, und sich dafür Zeit zu nehmen, ist nur der erste Schritt. Besondere Eindrücke und Erfahrungen in unseren imaginären Einmachgläsern zu konservieren, reicht nämlich nicht. Wir müssen sie schon auch verwerten, weiterverarbeiten, mit fremden Gedanken kombinieren und, im besten Fall, mit der Welt teilen. Der effektivste Weg dazu – das gilt für Designer:innen und Strateg:innen genauso wie für Texter:innen – ist das Schreiben. Denn es zwingt einen wie keine andere Tätigkeit dazu, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren, sein Verständnis zu verdichten und seine Perspektive zu schärfen. Oder wie Joan Didion sagt: „Ich schreibe ausschließlich, um herauszufinden, was ich denke, was ich anschaue, was ich sehe und was das bedeutet.”

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