Lieber Ingmar, freut mich sehr, dass das klappt! Wir kennen uns ja schon etwas lĂ€nger, und ich verfolge deine Entwicklung immer gespannt! ErzĂ€hl doch mal kurz fĂŒr die, die dich nicht kennen, wie bist du ursprĂŒnglich in die Werbung gekommen?
Mit einem Schul-Praktikum und einem Studentenjob bei einem Stadtmagazin im CV, habe ich mich am Institut fĂŒr Journalistik & Kommunikationsforschung der Hochschule fĂŒr Musik, Theater & Medien in Hannover beworben. Ich bin genommen worden und habe dort meinen Abschluss im âMedienmanagementâ gemacht.
In meiner Diplomarbeit habe ich ĂŒber 400 Leute nach ihren Marken- und Medien-Vorlieben befragt, um herauszufinden, ob es die âGeneration Golfâ â so wie der Journalist Florian Illies sie in seinem heiĂ diskutierten Bestseller beschrieben hatte â wirklich gibt.
Nach dem Studium wollte ich nicht in die Wissenschaft oder in ein Medienunternehmen gehen. Ich wollte kreativ arbeiten und bin 2001 bei Nordpol+ als Texter gestartet.
Die Agentur war seinerzeit einzigartig: kein S&J- oder JvM-Ableger, dafĂŒr mit Digital-Department, keine Text-Art-Teams, sondern interdisziplinĂ€re Kreativ-Blocks, keine ADC-Mitgliedschaften & Gold-Ideen. Eine echte âBoutique Agencyâ mit einer ganz eigenen, teilweise extremen Arbeitsweise. GeprĂ€gt von den Idealen von Lars RĂŒhmann. Wir waren das âkleine gallische Dorfâ und damit sehr lange sehr erfolgreich.
„Ich habe darum eine Aversion gegen smarte Strategie-PrĂ€sentationen, die die Welt einfacher machen als sie ist. Das ist nicht dasselbe wie die Reduktion von KomplexitĂ€t.“
Ich habe die Arbeiten von Nordpol+ immer geliebt. Der âWindâ oder die Crashtests mit WeiĂwurst & Co, das war damals echt was Besonderes.
Mit beiden Filmen hat Nordpol+ Werbegeschichte geschrieben, national und international. âPower of Windâ taucht regelmĂ€Ăig in den âTop Ten Ads of All Timesâ auf. âCrashtestâ habe ich erst kĂŒrzlich in der Grundschule meines Sohnes gezeigt. Der Film funktioniert immer noch! Der Spot war seinerzeit ja kreativ erfolgreich und auch im Markt.
Noch viel mehr gilt diese Kombination fĂŒr alles, was wir fĂŒr Dacia in Deutschland und der Schweiz gemacht haben. Die Entwicklung einer Positionierung anhand relevanter Insights, Kampagnen mit z. T. schockierenden Bildern wie Menschen, die auf Autos einschlagen, und klaren Messages, die massive Leads generiert haben und das alles auf Basis der echten Produkteigenschaften.
Das ist aus meiner Sicht die wertvollste Arbeit, die wir je bei Nordpol+ fĂŒr eine Marke gemacht haben, weil die Marke durch unsere Arbeit eine unglaubliche starke Haltung bekommen hat. Das war fĂŒr das Unternehmen von herausragender Bedeutung und auch fĂŒr die Fahrerinnen und Fahrer. Davon ist heute in der Kommunikation nicht mehr viel zu sehen, aber ich bin immer noch stolz darauf.
Stimmt! Du sprichst von âklaren Insightsâ, dein Steckenpferd war und ist ja die Strategie und die Konzeption. In dieser granularen Welt, in der wir uns inzwischen befinden, habe ich das GefĂŒhl, dass das noch wichtiger wird. Klarheit. Wer bist du? FĂŒr was stehst du? Sowohl persönlich, als auch als Marke. Wie siehst du das?
Klare Ziele sind heute wichtiger denn je. Meine StĂ€rke ist es, immer das groĂe Ganze im Blick zu haben, wenn ich mich um die Details kĂŒmmere. Das ist mein Versprechen in den Markt als Creative Strategy Consultant.
Sonst zögere ich bei dem Wort âklarâ. Wenn bei euch in Wien jemand âeh klarâ sagt, ist das nur knapp vor âwurschtâ. Klarheit klingt so erhaben, aber sie kann auch schnell ins Eindimensionale abdriften. Und von da ist man ganz schnell im SelbstverstĂ€ndlichen, eben âwurschtâ.
In Zeiten von VUCA, was alles andere als âwurschtâ sondern unser Alltag ist, halte ich es fĂŒr eine ganz elementare FĂ€higkeit, mit UnschĂ€rfen, Graubereichen und widersprĂŒchlichen Entwicklungen umzugehen. Gerade als Stratege oder Strategin.
Ich habe darum eine Aversion gegen smarte Strategie-PrÀsentationen, die die Welt einfacher machen als sie ist. Das ist nicht dasselbe wie die Reduktion von KomplexitÀt.
Deswegen ja âKlarheitâ, nicht âklarâ đ aber ich weiĂ was du meinst. Dass wir mehr sichtbare Graubereiche und UnschĂ€rfen haben als jemals zuvor, auch âdankâ Social Media, ist es meiner Meinung nach umso wichtiger fĂŒr SICH, in SICH klar zu sein. So gut das eben geht. Aber bitte, beende deinen Gedankengang!
Ich lasse in Marken-Workshops die ich moderiere, in genau definierten Phasen ganz bewusst KomplexitĂ€t zu, denn dann wird es spannend. Da gibt es was zu entdecken. Nur so kann man alle Stakeholder abholen und der KomplexitĂ€t von Marken und Unternehmen gerecht werden, wie z.B. bei der Entwicklung des neuen Corporate Desings der Hochschule fĂŒr Musik und Theater in Hamburg.
Mein Sinnbild fĂŒr Marken ist das Mosaik: Sie bestehen aus unfassbar vielen kleinen Momenten oder BerĂŒhrungspunkten. Das sind die Steinchen. Jedes Steinchen hat eine Bedeutung, aber das einzelne Steinchen macht nicht den Unterschied. Entscheidend sind die Muster, die sich herausbilden. Und die werden aus den vielen kleinen Steinen gebildet. Bei dem Wort âgranularâ bin ich also voll bei dir.
„In Zeiten von VUCA halte ich es fĂŒr elementar als Stratege oder Strategin mit UnschĂ€rfen, Graubereichen und widersprĂŒchlichen Entwicklungen umgehen zu können.“
Da bin ich komplett bei dir! Wie siehst du die Rolle von Strategie in Zukunft? Und wie hat sich das verÀndert in den letzten Jahren?
Strategie wird immer mehr nachgefragt, was gut ist, weil sie die Grundlage fĂŒr relevante Kreation liefert. Der Begriff wird aber auch immer inflationĂ€rer: Es gibt die Markenstrategie, die Zielgruppenstrategie, die Kommunikationsstrategie, die Kreativstrategie, die Digital-Strategie, die Content-Strategie, die Social Media Strategie, und so weiter und so fort.
Du hast dann ganz viele Strategien, aber der iPhone Screen wird dadurch nicht gröĂer. Und dort muss sich eine Strategie beweisen. Da finden die meisten Interaktionen statt. Bei Ăąme creative engineers haben wir die Kampagnen-Entwicklung fĂŒr die die Marke IAMSTR Nutrition von Anfang an strategisch so geplant.
Strategie ist dann hilfreich, wenn sie nicht nur ein Kapitel in einer Keynote ist, sondern als echte Checkliste fĂŒr die Kreation genutzt wird. Denn eine Strategie muss vor allem eines sein: umsetzbar.
Absolut, top Kreation, die funktioniert, braucht ebenso gute strategische Vorarbeit. A propos: Du bist ja nach wie vor als Consultant mit www.letmethinkaboutit.at/ tĂ€tig. VerĂ€ndern sich die Fragen der Kund:innen? Also ich gehe mal davon ausâŠaber in welche Richtung?
Was immer wichtiger wird, sind die Prozesse. Da unterscheiden sich groĂe Unternehmen und Solopreneure kein bisschen voneinander. Wie organisiere ich mich, um Tag fĂŒr Tag die Umsetzung meiner Strategie zu gewĂ€hrleisten? Diesen Herausforderungen muss sich jede Organisation stellen, aber fĂŒr sich selbst spezifische Lösungen entwickeln.
Der andere Punkt ist nichts neues, aber in Zeiten der Pupose-Frage, relevanter denn je: Was ist unsere Botschaft und wie können wir sie glaubhaft machen?
Oh ja, davon kann ich selbst ein Liedchen singen. Die richtigen Prozesse fĂŒr sich und seine Firma zu findenâŠein steter Quell der Herausforderung.
Springen wir mal in deine andere Profession. Wir sind ja beide fasziniert von Potenzial und der Entfaltung eben jenes. Wie kam fĂŒr dich der Schritt in die âLehreâ? Und was macht dir hier besonders SpaĂ?
Ich habe sehr gerne studiert. Wie vorhin gesagt: Die Diplomarbeit am IJKÂ war anstrengend und herausfordernd, aber ich habe super viel dabei gelernt und ich fand es sehr bereichernd, sie von vorne bis hinten zu entwickeln.
Zum anderen haben meine Frau und ich vier Kinder. Schule und Lernen spielt eine groĂe Rolle in unserem Leben und wir kennen mittlerweile viele unterschiedliche Bildungskonzepte, von Montessori bis zur katholischen Privatschule. Daraus ziehe ich viel Inspiration. Ich fand es z.B. extrem beeindruckend, dass eine Waldorf-Lehrerin jeden Morgen jedes Kind persönlich an der TĂŒr begrĂŒĂt hat.
Wie man Wissen vermittelt hat wahnsining viel damit zu tun, was bei den Zuhörenden ankommt und hĂ€ngen bleibt. Das ist immer Ansporn fĂŒr mich, wenn ich VortrĂ€ge, Seminare oder Workshops vorbereite und halte. Vor allem ist es eine tolle Form, mit jungen Menschen im Austausch zu sein. An der Brand University lehre ich aktuell aber nicht, sondern leite das Marketing.
Ah so! Und welches Konzept fahrt ihr bei der Brand University? Was unterscheidet euch von anderen AusbildungsstÀtten?
Die Brand University trĂ€gt ihr Versprechen im Namen: Uns geht es um Marken. Und wir haben an der Brand University ein eigenes Paradigma, wie wir Marken betrachten: Brand Thinking. Beim Brand Thinking wird die Marke in den Mittelpunkt aller Entscheidungen in einem Unternehmen gestellt. DafĂŒr braucht es beide Perspektiven: Die des Marketings und die der Gestaltung. Genau das wollen wir ab Oktober auch als einzige Hochschule strukturell im Studienverlauf abbilden: Bei uns lernen die Studierenden dann in einem relevanten Teil ihres Studiums fachĂŒbergreifend. Das heiĂt, Marketing- und Design-Studierende lernen von Anfang an die Herangehensweise, die Workflows und Arbeitsschritte âder anderen Seiteâ kennen. Das gibt es fĂŒr das Thema Marke nur bei uns und ist hoch relevant fĂŒr die Arbeit in Unternehmen, StartUps, Unternehmensberatungen oder Agenturen.
„Die Agenturen werden zum Mehrgenerationen-Haus. Aber nicht hierarchisch organisiert mit alten Chefs und jungen Praktikantinnen, sondern nach FĂ€higkeiten, Wissen und Arbeitszeit.â
Sehr cool. Wie glaubst du, dass zukĂŒnftiges Lehren aussehen wird? Oder aussehen muss?
Wie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, wird auch der Bildungssektor immer individueller. Es gibt immer mehr Lernformen fĂŒr unterschiedliche Lerntypen. An der Brand University forcieren wir darum nicht nur die Verzahnung der Disziplinen, sondern auch die Verbindung von PrĂ€senz- und Digital-Unterricht. Bei uns gibt es den Austausch auf dem Campus, Lernen im eigenen Tempo mit digitalen Content und Hybrid-Formate.
Durch AI wie zB ChatGPT wird noch sehr viel in der akademischen Welt in Bewegung geraten, darum glaube ich, dass Mitarbeit, Engagement, Teamwork und der fachliche Diskurs mit den Lehrenden wieder sehr viel wichtiger werden.
Das glaube ich auch. Zum Thema AI, aber auch generell: Was kommt deiner Meinung nach auf uns und die Branche zu? Es fehlt an Nachwuchs, an den berĂŒhmten FachkrĂ€ften, generell ist das Modell âAgenturâ aktuell ziemlich in Frage gestellt⊠woran liegt das deiner Meinung nach? Und wohin wird es sich entwickeln?
Die Gesellschaft wird immer individueller und immer Àlter. Die Kaufkraft verteilt sich sehr unterschiedlich. Die Unternehmen reagieren mit ihren Business Strategien darauf und dadurch hat es unmittelbare Auswirkungen auf die Agentur-Landschaft und die Agentur internen Prozesse. Was ich mir gut vorstellen kann: Die Agenturen werden zum Mehrgenerationenhaus. Aber nicht hierarchisch organisiert mit alten Chefs und jungen Praktikantinnen, sondern nach FÀhigkeiten, Wissen und Arbeitszeit.
FĂŒr KanĂ€le wie TikTok oder Twitch liegt die Expertise bei den Teens und Twens. Aber nicht jedes Produkt muss auf diesen KanĂ€len prĂ€sent sein und Content in dem entsprechenden Tempo produziert werden.
Es gibt auch weiterhin Bedarf an fundierten Informationen, vielleicht sogar mehr denn je. Den erstellen und organisieren dann eben andere Mitarbeitende, in einem anderen Workflow.
DafĂŒr braucht jede Agentur aber das, was man im Theater den Inspizienten nennt: Einen oder eine, der oder die immer weiĂ, wer was kann, wer wie arbeitet, wann wo ist und womit gerade beschĂ€ftigt ist. Dann wird das herausragend funktionieren!