Liebe Raphaela, freut mich sehr! Steigen wir gleich direkt ein.
Wie bist du aus der klassischen Werbebranche in die Welt des Interior Designs gekommen, und was hat dich bewogen den Schritt zu machen?
Ich war viele Jahre als Kundenberaterin in Werbeagenturen tätig und habe mich nach dieser Zeit in einem Hamsterrad wiedergefunden. Ich sehnte mich nach Entwicklung und Weiterbildung in einem neuen Feld. Die Möglichkeit der Bildungskarenz habe ich bewusst genutzt und in diesem Rahmen aus persönlichem Interesse eine Ausbildung im Bereich Interior Design absolviert. Obwohl ich ursprünglich plante, in diesem neuen Feld ins Marketing zu wechseln, kam es anders. Mir wurde schnell klar – ich wollte die Arbeit mit Möbeln und Materialien weiterverfolgen und vertiefen. Als Raumgestalterin bei AREA habe ich dabei sehr schnell wieder eine neue berufliche Leidenschaft entdeckt und Neugier verspürt, die ich aus frühen Jahren in der Werbebranche gekannt hatte.
„So wie ich meinen Raum gestalte, gestalte ich auch mein tägliches Leben.“

Wie hat sich deine Sichtweise auf Arbeit seit diesem Schritt entwickelt?
Ich glaube, dass es guttut, die gewohnte Bubble gelegentlich zu verlassen und Abstand zu gewinnen. Das kann ich nur empfehlen. Der Mut, sich weiterzubilden oder eine neue Richtung einzuschlagen, ist immer eine wertvolle Entscheidung – selbst wenn sie nicht den Erwartungen entspricht, die andere oder wir selbst uns auferlegt haben. Die Kommunikationsbranche steht kontinuierlich unter Strom, Timings und Ressourcen sind knapp, alles muss bestenfalls sofort passieren. Was mich besonders freut: Ich kann meinen Kund:innen und Geschäftspartner:innen nun mehr persönliche Aufmerksamkeit und Zeit widmen. Ich kann kreativer arbeiten, der Austausch ist größtenteils persönlicher geworden und findet meist auf einer anderen Ebene statt. Das mag ich sehr und bringt mir persönlich Balance. Die Erfahrung und meine in Werbejahren angeeignete Ausdauer kommen mir zugute, nach einigen Jahren in Agenturen ist man für viele Herausforderungen gewappnet.



Wie hat sich unser Verständnis von Arbeit und Arbeitsräumen seit der Pandemie verändert, was meinst du?
Die Erfahrungen aus der Pandemie haben deutlich gemacht: Das klassische Büro als fester Arbeitsplatz entspricht oft nicht mehr den heutigen Anforderungen. Flexibilität ist zum zentralen Aspekt moderner Arbeitskultur geworden. Viele von uns haben während der Pandemie ihr Zuhause neu entdeckt, Routinen hinterfragt und Lebensweisen überdacht. Entscheidungen wie „Liefern lassen oder bewusst ausgehen?“, „Home-Training oder Fitnessstudio“ oder „Homeoffice oder doch ins Büro?“ treffen wir heute mit mehr Bewusstsein. Dabei gewinnen Räume, für die wir uns gezielt entscheiden, an Bedeutung. Sie sollen inspirieren, motivieren und einen echten Mehrwert bieten. Büros wurden zu sozialen Treffpunkten für bewusste Begegnungen und Austausch. Besonders in der Kommunikationsbranche, in der Wissen dynamisch entsteht, ist der direkte Dialog ein zentraler Treiber von Innovation. Wir als Gemeinschaft, unsere Gewohnheiten, die Technik – alles verändert sich rasend schnell. Die physische Welt tritt mehr und mehr in Konkurrenz mit der digitalen. Während Gebäude für Jahrzehnte geplant werden, ändern sich deren Nutzer:innen und Arbeitsweisen laufend. Nachhaltig-flexibles Interior Design ist der Schlüssel, um in einer dynamischen Arbeitswelt agil zu bleiben. Auf den Zug dieser agilen Arbeitssysteme ist Vitra als einer der ersten Hersteller mit aufgesprungen. Der Schweizer Anbieter USM Haller arbeitet seit jeher mit einem erweiterbaren Regalsystem.
Was bedeutet Interior Design fĂĽr dich?
FĂĽr mich sind Möbel und Interior Design ein Tool, um sich auszudrĂĽcken, Entwicklung zu fördern und Kommunikation stattfinden zu lassen. Unternehmen können mittels Interior Design Identität ausdrĂĽcken, eine Marke stärken, Zugehörigkeit schaffen, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter:innen fördern und ja, sogar Wertschätzung ihnen gegenĂĽber zeigen. Das beginnt bei ergonomischen Arbeitsplätzen, endet da aber nicht. In Bereichen wie der Gastronomie optimiert die richtige Einrichtung das Gesamtbild eines Betriebes und fördert somit natĂĽrlich auch den wirtschaftlichen Erfolg. Im privaten Kontext bedeutet Interior Design fĂĽr mich auch eine Form von Achtsamkeit, sich selbst gegenĂĽber. So wie ich meinen Raum gestalte, gestalte ich auch mein tägliches Leben. Es gibt StĂĽcke in meiner Wohnung, ĂĽber die freue ich mich jeden Tag ein kleines bisschen. Design kann die Qualität von vielem verbessern – das gilt fĂĽr Grafikdesign ebenso wie fĂĽr Interior Design. Dabei gibt es kein allgemein gĂĽltiges Richtig oder Falsch; entscheidend ist, dass das Ergebnis zu den Menschen passt, die sich dort aufhalten.
„Räume senden starke Signale. Sie zeigen, wie ein Unternehmen denkt – ĂĽber sich selbst und ĂĽber die Menschen, die dort arbeiten.“

Gestaltung von Büroräumen ist ja quasi eine Form von Employer Branding, oder? Was ein CI/CD nach außen ist, kann ich nach innen (auch) auf diese Art zeigen…? Die Unternehmenskultur, die sich in der Einrichtung spiegelt?
Firmenarchitektur wirkt nach innen wie nach außen. Räume schaffen Zugehörigkeit. Unternehmen sind soziale Orte, sowohl für gezielte als auch zufällige Begegnungen. Die Tendenz geht weg vom klassischen Arbeitsplatz, hin zu Gemeinschaftszonen, Ruhezonen, Projekträumen, Working Cafés. Räume spiegeln wider, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeiter:innen umgeht: Sitzt die Geschäftsführung in der obersten Etage – oder wurde dieser Platz und Ausblick bewusst der Gemeinschaft überlassen, etwa in Form einer Kantine? Was verrät ein Tischtennistisch im Aufenthaltsraum über die Haltung zur Arbeit, über Hierarchien und über gelebte Unternehmenskultur? Räume senden starke Signale. Sie beantworten Fragen wie: „Wo gehöre ich hin?“ und „Wo möchte ich meine Zeit verbringen?“ – idealerweise an Orten, die Wahlfreiheit, Eigenverantwortung und Agilität ermöglichen. Nach außen hin ist Raumgestaltung ebenso eine klare Botschaft. Sie spiegelt sehr direkt wider, wie ein Unternehmen denkt – über sich selbst und über die Menschen, die dort arbeiten. Sie gibt Struktur, Orientierung und ladet die „richtigen“ Menschen ein, sich mit dem Unternehmen zu verbinden. So wird Unternehmenskultur spürbar und erlebbar.

Welche eurer Projekte zeigen besonders gut, wie Gestaltung Identität prägen kann?
Einige unserer spannendsten Office-Projekte der letzten Jahre zeigen genau das – etwa fĂĽr Agenturen wie Dots and Lines, Tochter oder Fora, aber auch fĂĽr Unternehmen wie Marmind, Habau oder die Raiffeisen Bank. Jedes dieser Unternehmen bringt eine ganz eigene DNA mit – und genau das spiegelt sich in der Gestaltung der Räume wider. So unterschiedlich, wie dort gearbeitet wird, sind auch die Arbeitsumgebungen, die wir geschaffen haben. Betrachtet man die Räume heute, erkennt man auf den ersten Blick zu welchem Unternehmen sie gehören – weil sie Haltung, Arbeitsweise und Kultur unmittelbar transportieren. Die Anforderungen waren dabei sehr vielfältig: von agilen Flächen fĂĽr kreative Brainstormings ĂĽber Möbel, die die Arbeitsweise eines Teams unterstĂĽtzen, bis hin zu flexiblen Arbeitsplätzen. Auch Themen wie Nachhaltigkeit – etwa bei der Materialwahl – gewinnen immer mehr an Bedeutung. Gemeinsam mit der Raffaisenbank galt es Beratungsräume zu gestalten, die fĂĽr Mitarbeiter:innen und Kund:innen gleichermaĂźen einladend sind – angefangen von Landwirt:innen ĂĽber Jugendliche bis hin zu Unternehmer:innen.

Warum sind gut designte und qualitativ hochwertige Produkte fĂĽr dich nachhaltiger als andere?
Hochwertige Materialien und Qualität bedeuten Beständigkeit – und das gilt auch für gutes Design. Wir sind überzeugt von Möbeln, die uns bestenfalls ein Leben lang begleiten – zeitlose Stücke, die nicht nur schön altern, sondern mit den Jahren an Charakter gewinnen. Viele unserer Produkte behalten oder steigern über Jahrzehnte ihren Wert – sie lassen sich auch gebraucht noch gut weiterverkaufen. Obwohl sie teilweise vor Jahrzehnten entworfen wurden, wirken sie heute noch immer modern. Auch das ist gelebte Nachhaltigkeit: nutzen statt entsorgen, weitergeben statt ersetzen. Was mich fasziniert, sind Entwürfe aus den 1930er- oder 1950er-Jahren, die noch heute jeden Raum aufwerten – ohne altmodisch zu wirken. Ich habe kürzlich ein Foto von einem Alvar-Aalto-Sessel gesehen, den wir heute noch im Sortiment haben. Auf dem Bild: der Sessel im Schaufenster, draußen auf der Straße fahren Kutschen statt Autos. Und trotzdem wirkt das Möbelstück heute kein bisschen aus der Zeit gefallen. Das ist für mich ein Aspekt von Nachhaltigkeit: der bleibende Wert.
Wie lebt ihr Nachhaltigkeit?
So ehrlich muss ich sein: Wir arbeiten mit dem Verkauf von Produkten, diese schließen sich mit nachhaltigem Denken jedoch nicht aus. Wir arbeiten fast ausschließlich mit Herstellern, die in Europa produzieren, nachhaltig zertifiziertes Material nutzen und eine zirkuläre Ökonomie verfolgen. Es tut sich viel in der Möbelbranche: Stoffe, die aus Wollresten gewonnen werden, Teppiche aus Garn, gesponnen aus alten Fischernetzen. Auf der Mailänder Möbelmesse präsentierte Arper einen Stuhl, der aus 27 Lagen Papier besteht. Neue Möbel von Vitra oder Leuchten von Midgard sind komplett zerlegbar, nichts ist verklebt und einzelne Komponenten lassen sich bei Bedarf einfach austauschen. Dadurch verlängern sich Produktlebenszyklen erheblich und Reparatur wird wieder zur selbstverständlichen Option.
„Design ist fĂĽr mich eine Form von Achtsamkeit. Es schafft Identifikation, Verbindung – und manchmal sogar Gemeinschaft.“
Was braucht ein guter Raum, damit sich Menschen gerne aufhalten – privat wie beruflich?
Gut gestaltete Räume wirken immer auf uns, bewusst oder unbewusst. Ă„sthetik, Schönheit und gute Gestaltung beeinflussen unser Wohlbefinden, unsere Stimmung und oft auch unser Verhalten. Im Unterschied zu vielen KonsumgĂĽtern, bei denen Werbung eine zentrale Rolle spielt, wählen wir Möbel meist nicht aufgrund einer vermittelten Markenbotschaft. Werbung schreibt Produkten oft Bedeutungen zu, mit denen wir uns identifizieren – oder nicht – und beeinflusst so unsere Kaufentscheidungen. Bei Möbeln läuft dieser Prozess häufig intuitiv und persönlicher ab: Hier sind wir es selbst, die den Dingen Bedeutung geben. Die Entscheidung ist stärker mit eigenen Werten, Erinnerungen oder Lebensvorstellungen verknĂĽpft. Ein einfaches Beispiel ist ein Mitbringsel aus dem Urlaub: Wenn wir es selbst ausgewählt haben, verknĂĽpfen wir es mit einer Erinnerung, einem GefĂĽhl – und es bekommt einen festen Platz in unserem Zuhause. WĂĽrde uns derselbe Gegenstand von jemand anderem geschenkt, hätte er vermutlich nicht dieselbe Wirkung – und wĂĽrde vielleicht schnell im Schrank verschwinden. Gute räumliche Einrichtung lässt also genau das zu: persönliche Identifikation, emotionale Verbindung und einen Rahmen, in dem man sich verstanden und wohlfĂĽhlt. Ein gut gestaltetes Office braucht neben Orten fĂĽr Austausch auch RĂĽckzugsorte fĂĽr konzentriertes Arbeiten. Gerade in wissensintensiven Berufen, in denen statistisch gesehen Leute im Schnitt alle vier Minuten unterbrochen werden, sind gut gestaltete Arbeitszonen wichtig – fĂĽr produktives, kreatives und gesundes Arbeiten.


Welche gesellschaftliche Rolle kann Architektur und Interior Design in Zukunft spielen?
Aus meiner Sicht ĂĽbernehmen Architektur und Interior Design zunehmend eine gesellschaftliche Aufgabe – sie werden zum Bindeglied von Gemeinschaften. In einer immer digitaleren Welt wächst gleichzeitig das BedĂĽrfnis nach realen Orten und sozialen Begegnungen. Interior Design reflektiert dabei stets den kulturellen und sozialen Kontext einer Gemeinschaft. Vielleicht kennst du die Theorie der „Third Places“ – neben dem Arbeitsplatz und dem Zuhause braucht es einen dritten Ort, der Ausgleich schafft – zum Beispiel: das CafĂ© oder die Bar ums Eck, das Yoga- oder Fitnessstudio. Orte, an denen Begegnung und Austausch möglich sind. In den USA etwa stehen viele BĂĽros leer, was Entwickler zum Umdenken zwingt. Neue Konzepte auch in Kopenhagen zum Beispiel setzen auf öffentliche und fĂĽr die Allgemeinheit zugängliche Räume in BĂĽrogebäuden: Dachterrassen, Lounges, Fitnesscenter, CafĂ©s oder Kunstflächen – teils machen sie schon 10 % der Gesamtfläche aus. Auch wir spĂĽren den Bedarf nach vielseitig nutzbaren Räumen. Unser Back-Office am Schottenring – das „Club Office“ – folgt genau diesem Ansatz. Wir präsentieren nicht nur unsere Möbel und haben unsere Touchdown-Arbeitsplätze hier, wir vermieten das Club Office auch als Workshopfläche, unser Podcast, „AREA erzählt“ wird hier gelegentlich aufgenommen. Zudem finden regelmäßig TV-Drehs, Pop-Ups und Yoga-Sessions statt. Das verstehe ich unter einem flexiblen, zukunftsfähigen Raumkonzept im Sinne der Gemeinschaft.
Danke für das spannende Gespräch, Raphaela!
Mehr zur Arbeit von Raphaela findet ihr hier.Â