Du bezeichnest dich selbst als Brand Therapist, wie kam es zu der Bezeichnung? Wo brauchen die meisten Hilfe/ Unterstützung im Branding?
Das kommt tatsächlich von einem Kund:innen-Feedback… ich war am Anfang zögerlich, mich so zu bezeichnen, aber eigentlich beschreibt es meine Herangehensweise ziemlich gut.
Brand Strategie oder Markenstrategie, mein Spezialgebiet, ist für viele noch ein unbekanntes Feld oder ein zu abstrakter Begriff. Viele stürzen sich gleich in die Beauftragung von Designs, HR-Maßnahmen oder Werbekampagnen.
Meistens ist es aber ratsam, sich zuerst der Strategie zu widmen und in sich zu gehen, auch als Unternehmen: Was macht uns aus, wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Wo sind Unstimmigkeiten in der Wahrnehmung nach Innen und Außen und wie wollen wir sie korrigieren?
Also auf eine gewisse Weise eine Persönlichkeitsfindung der Marke mit (hoffentlich) langfristiger Klarheit – wie bei der Therapie.
Dabei ist meine Rolle auch nicht, Lösungen überzustülpen, sondern als Außenstehende Perspektiven aufzuzeigen, die vielleicht übersehen worden sind. Oder Fragen zu stellen, die so banal sind, dass andere nicht auf die Idee kommen würden sie zu stellen.
Und da ich in der Maßnahmenumsetzung höchstens eine beratende Rolle einnehme, kann ich auch mit mehr Objektivität an die individuelle Problemstellung herangehen.
„Dabei ist meine Rolle auch nicht, Lösungen überzustülpen, sondern als Außenstehende Perspektiven aufzuzeigen, die vielleicht übersehen worden sind. Oder Fragen zu stellen, die so banal sind, dass andere nicht auf die Idee kommen würden sie zu stellen.“
Wenn wir schon über Perspektiven aufzeigen sprechen: Du selbst hattest einen Schlüsselmoment für deine Gründung bei einer Weiterbildung. Kannst du uns den näher erläutern?
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade zwei unterschiedliche Agenturstationen hinter mir: als Brand Designerin und als Kundenberaterin. Letzteres als Quereinsteigerin – denn die direkte Arbeit mit Kund:innen hat mir immer sehr viel Freude gemacht. In dieser Rolle hatte ich auch das Gefühl, so mehr in die Problemstellungen eintauchen zu können und die wirklich passende Lösung zu finden.
In Barcelona habe ich mich dann am Istituto Europeo di Design (IED) für den Studiengang „Consumer Behaviour Trends“ eingeschrieben, aus Neugier. Unverhofft habe ich hier Methoden und Werkzeuge kennengelernt, die Kreation und Beratung verbinden – und mich so in die Strategie geführt haben.
Das Erkennen von Kund:innenbedürfnissen und deren Projektion in die Zukunft waren dabei Kerninhalte – und ich merkte, wie mir meine Skills aus dem Designstudium dabei sehr geholfen haben. Denn da will man immer Emotionen und Reaktionen kreieren, und gleichzeitig überraschen.
Recherchetechniken wie Field Research oder Trend Scouting haben diesen Prozess aber von etwas rein Intuitivem zu etwas Belegbarem gemacht. Da habe ich beschlossen, mich ganz darauf zu konzentrieren und mein Unternehmen StrategyWorkshop zu gründen.
Einer deiner Claims ist: Strategie bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die die Zukunft formen. Ist das der Beginn jeder guten Marke? An welcher Stelle kommt dann die Kreativität, das offene freie arbeiten?
Die Marke ist, im Unterschied zu Marketingmaßnahmen, ja etwas möglichst Langfristiges. Um also eine starke Marke oder ein starkes Markenfundament aufzubauen, muss ich genau wissen, auf welche ideale Zukunft ich hinsteuern möchte, in welche Zukunft meine Marke passen soll.
Und um sich die Zukunft vorzustellen, ist Kreativität meiner Meinung nach ganz, ganz wichtig. Denn in der Zukunft ist alles möglich. Je weiter man denkt, desto mehr Möglichkeiten gibt es – und diese wahrzunehmen und zu priorisieren ist keine leichte Sache. Gerade an dieser Stelle merke ich in meiner Arbeit mit Unternehmen, wie sehr die meisten in engen Gedankenmustern gefangen sind und sich schwertun, über 10, 20 oder 50 Jahre hinaus zu denken. Diese Barrieren muss ich erst mal aufbrechen.
Apropos aufbrechen: Wie steht es mit Intuition vs. Strategie in kreativen Prozessen – kann „Naivität“ nicht auch sinnvoll sein, um Neues zu schaffen?
In meinen Workshopformaten zum Thema „Trend Radar“ bringe ich ganz gerne das Beispiel vom Babelfish – nicht das Übersetzungstool, sondern die Technologie aus der Science Fiction Story „Per Anhalter durch die Galaxis“ aus den 80ern. Da ist der Babelfish tatsächlich ein Fisch, den man sich ins Ohr setzt um alle galaktischen Sprachen simultan übersetzt zu bekommen. Hört sich skurril (und wohl eben etwas naiv) an – heute sind wir mit In-Ear-Kopfhörern und sehr smarten Übersetzungsprogrammen dieser Idee aber schon unglaublich nahe.
In solchen sogenannten „Signalen“ nicht nur Science Fiction, sondern das Potential zu sehen, kann Unternehmen Inspiration liefern und auch einen großen Vorsprung verschaffen. Vor allem, wenn Sie über den Tellerrand der eigenen Branche hinaus blicken.
Intuition und Strategie gehören für mich also durchaus zusammen.
„Gerade an dieser Stelle merke ich in meiner Arbeit mit Unternehmen, wie sehr die meisten in engen Gedankenmustern gefangen sind und sich schwertun.“
Das Hinausblicken über Bekanntes zieht sich auch durch deinen Claim „good companies do business, great companies ask questions”. Welche Fragen sollten wir alle mehr stellen, um großartige Arbeit abzuliefern?
Auf meinen Visitenkarten habe ich einige solcher Fragen stehen: Auf welche Zukunft arbeitest du hin? Was braucht die Welt? Warum bist du hier? Wie schaffst du Veränderung? Was bedeutet Erfolg für dich? Auf welcher Mission bist du?
Wir sind sehr darauf trainiert, die richtigen Antworten zu geben, dass wir manchmal gar nicht überlegen, ob die Fragestellung die richtige ist. Dazu gibt es ein tolles Buch von Els Dragt, „Dare to ask“. Oft können uns Fragen weiter tragen als Antworten, weil sie neuen Handlungsspielraum und somit neue Lösungen eröffnen. Gerade als Unternehmen ist es zum Beispiel so wichtig, meinen Kund:innen immer wieder (die richtigen!) Fragen zu stellen und nicht einfach anzunehmen, ich kenne sie besser als sie sich selbst.
„Wir sind sehr darauf trainiert, die richtigen Antworten zu geben, dass wir manchmal gar nicht überlegen, ob die Fragestellung die richtige ist.“
Ich glaube, das ist ein guter Reminder für uns alle, auch mal inne zu halten. Wie siehst du das Ganze bei deinen Workshops, wo erkennst du besonders spannende Entwicklungen in diesem Bereich?
„Workshop“ ist fast schon ein Unwort – ist mir natürlich erst aufgefallen, als mein Unternehmen „StrategyWorkshop“ bereits gelauncht war. Der Begriff wurde sehr inflationär genutzt, jedes Meeting war plötzlich ein „Workshop“.
Aber ich halte trotzdem daran fest, denn gut geplant und geleitet kann man in ein paar Stunden oder Tagen richtig viel weiterbringen und viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Rollen im Team miteinbeziehen.
Zum Glück finden die meisten Workshops schon wieder live statt, aber aus den Zeiten, wo sie nur remote (digital) möglich waren sind ein paar hilfreiche Tools zurückgeblieben, die neue Wege zur Ideengenerierung und Priorisierung liefern. Damit gelingt es auch besser, zurückhaltende Teilnehmer:innen aktiv einzubeziehen und Hemmungen wegen Hierarchien zu überwinden.
Die Zeit, die Unternehmen investieren, um mit mir in Workshops gemeinsam Strategien zu erarbeiten, ist sehr wertvoll. Deswegen ist es mir immer wichtig, meinen Kund:innen auch Werkzeuge mitzugeben, die sie auch über den Workshop hinaus in ihrem Arbeitsalltag einsetzen können. Als einen Workshop nicht nur als Mittel zum Zweck zu sehen, sondern dabei auch etwas Neues zu lernen.
Zum Abschluss wollen wir auch noch etwas Lernen: Was ist für dich die Quintessenz von guter Zusammenarbeit?
Je diverser die Zusammensetzung der Teilnehmer:innen, umso besser.
Markenworkshops zum Beispiel sollten nicht nur auf C-Level-Ebene passieren – Menschen aus der Kund:innenberatung, dem Marketing, Vertrieb oder von mir aus auch Verrechnung können Perspektiven aufzeigen, die sonst unentdeckt bleiben und ein viel runderes Bild des Unternehmens abgeben. Außerdem ist dann die Chance, dass die so erarbeitete Marke tatsächlich im Unternehmen gelebt wird, viel größer, wenn mehr Menschen eingebunden worden sind.
Somit müssen auch die Übungen und der Workshop-Aufbau auch für unterschiedliche Typen gemacht sein. Manche diskutieren gerne, andere haben lieber ein bisschen Zeit, um in Stille zu überlegen – der Mix macht es aus.