Du hast Geschichte und Publizistik studiert, warst in Agenturen tätig, dann in einem großen Konzern als Diversity Managerin und bist jetzt Co-Founderin eines Unternehmens, das sich gänzlich Diversität & Inklusion in Organisationen widmet. Kein gewöhnlicher CV. Wie kam’s dazu?
Tatsächlich habe ich verhältnismäßig spät meine Studien abgeschlossen und zu arbeiten begonnen und mir war klar, dass ich ein bisschen schneller als andere laufen muss, zumindest für eine bestimmte Zeit.
In Retrospektive haben mir diese recht frequentierten Wechsel von Agentur zu Agentur sehr gut getan. Was vor ein paar Jahren noch verpönt war, nämlich dass man verschiedenste Fachgebiete und Erfahrungen vereint, fiel mir leicht und hat mir am Weg sehr geholfen. Ich habe – wenn ich mir das anmaßen darf – dieses gewisse Gespür für Exzellenz und so hatte ich auch das Glück, mich auf diesem Weg mit den Besten ihres Fachs umgeben zu dürfen und von ihnen zu lernen. Ich habe mit einer Handvoll großartiger Menschen arbeiten dürfen, wofür ich dankbar bin.
„Was vor ein paar Jahren noch verpönt war, nämlich dass man verschiedenste Fachgebiete und Erfahrungen vereint, fiel mir leicht und hat mir am Weg sehr geholfen.“
Das ist wirklich ein spannender Zugang zum Lernen und Entwicklungsprozessen! Wie wĂĽrdest du dich heute selbst beschreiben?
Müsste ich mich beruflich bzw. fachlich beschreiben, würde ich sagen: Ich habe extremes Stehvermögen, homöopathisches Arbeiten liegt mir nicht, ich arbeite hart und bin so gut wie nie krank, ich denke gerne breit und interdisziplinär. Privat bin ich eine Mischung aus gesundem Wahnsinn, Humor, zu viel Pommes mit Ketchup, einer Vorliebe für Schönes und Kunst, insbesondere Malerei und Film.
Mit so vielen Interessen und Fachwissen deinerseits: Wie kam es dann schlieĂźlich zum Meilenstein der GrĂĽndung, wann habt ihr euch entschlossen, die Konzernwelt zu verlassen und warum?
Ich wĂĽrde die GrĂĽndung unseres Unternehmens weniger als Meilenstein bezeichnen. Eher als einen dieser paar Momente im Leben, in denen man ganz klar weiĂź, was man tut, und es fĂĽhlt sich „einfach“ an. Ich sage gerne: Eine Liebesbeziehung ist wie ein Wohnungskauf. Man muss hineingehen und es wissen. Und in dem Moment, in dem man darĂĽber nachdenkt, was man alles ändern mĂĽsste, damit man sich sicher ist, hat man schon verloren. Mit Julia, meiner Geschäftspartnerin, war es ein bisschen so, wie Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns an meinem ersten Tag bei der Erste Group kennengelernt, sie hat mich sofort ĂĽberallhin mitgenommen und vernetzt – was ich schon damals an ihr geschätzt habe. Kurz danach wurde sie meine Chefin. Zwischen uns zweien war immer schon viel fachliches und persönliches Vertrauen und wir ergänzen uns wahnsinnig gut. Bei aller Professionalität in unserer Zusammenarbeit lachen wir viel miteinander und haben SpaĂź, Leidenschaft fĂĽr die Sache. Ich arbeite gerne gleichzeitig an verschiedenen Herausforderungen, mit unterschiedlichsten Menschen und Teams und schätze es, wenn jeder Tag anders getaktet ist. Jeden Tag das Gleiche zu tun, wĂĽrde mich auf kurze Dauer umbringen. Julia ist mir da ähnlich. Das Unternehmertum steht uns gut.
Das sieht man auch an eurer Arbeit! Du bist jetzt als Beraterin in vielen Bereichen unterwegs. Was würdest du kommenden Generationen ans Herz legen wollen? Wie können sie ihre eigenen Potenziale, in egal welcher Branche, besser ausschöpfen?
In etwas gut zu sein oder zu werden ist verhältnismäßig einfach, da muss man eben ein gewisses Maß an Zeit, Fleiß und Hirnschmalz investieren. Schwieriger ist es zu verstehen, dass man nicht alles, worin man gut ist, gerne tut oder beruflich tun sollte. Etwas zu finden, worin man sehr gut ist, das man mit Freude macht und das gleichzeitig eigens definierte Freiheiten ermöglicht, ist für mich beruflicher Erfolg.
Tipps, die ich geben würde, um Potenziale voll ausschöpfen zu lernen: Erstens: wissen, worin man schlecht ist. Das ist oftmals wichtiger als zu wissen, worin man gut ist. Denn nicht zu wissen, worin man schlecht ist, macht einem selbst und auch anderen Menschen das Leben schwer.
Zweitens: sich stets mit Menschen umgeben, die besser sind als man selbst. Ich mache einen riesengroßen Bogen um Menschen, die ihre Mitmenschen bzw. Kolleg:innen „klein halten“ bzw. „systematisch abschirmen“. Diejenigen, die wirklich gut in etwas sind, haben keine Angst, ihr Wissen zu teilen und andere zu fördern. Und dabei selbst wiederum zu wachsen.
Kurz gesagt: True leaders surround themselves with people who are better than them.(Gute Führungskräfte umgeben sich mit Menschen, die besser sind als sie.). Ich habe von solchen Führungskräften und Kolleg:innen das meiste gelernt, sie haben meine berufliche und persönliche Entwicklung am meisten im Positiven geprägt. Auch, wenn es nicht immer einfach war, denn zwischen Genie und Wahnsinn liegt oft nur ein schmaler Grat bei Menschen (lacht).
„Wir dĂĽrfen verschiedene Migrationsgeschichten und -hintergrĂĽnde nicht ĂĽber einen Kamm scheren.“
Das klingt echt nicht leicht. Apropos mit den Besten arbeiten: Hinter dem Inclusion Indicator steht ihr zu zweit, eine davon mit Familie, die andere mit Migrationsgeschichte. Ihr trefft damit automatisch viele Kategorien, die immer noch zu wenig öffentlich und in Unternehmen repräsentiert sind. Was sind eure größten Herausforderungen diesbezüglich gewesen?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich, was Familienplanung und -gründung betrifft, nicht die leiseste Ahnung habe (lacht). Ich bin ledig ohne Kinder und hatte auch nie diese „innere Uhr“, von der viele Frauen erzählen. Vielleicht ist das auch das Geheimrezept der Zusammenarbeit von Julia und mir. Dass wir die Andersartigkeit unserer Leben nicht nur stets respektiert, sondern auch gefördert haben. Meine persönlichen Herausforderungen auf diesem Weg der Unterrepräsentanz waren gar nicht so groß, aber ich war auch gut vorbereitet. Ich werde nie vergessen, was mein Vater mir damals gesagt hat, als ich ein Kind war: „Du musst sprachlich mindestens doppelt so gut sein als andere. Weil du anders aussiehst“. Und er hat recht behalten. Ist das unfair? Nein, es ist Teil einer bzw. meiner Geschichte. Ich habe fragwürdige Momente erlebt, in denen ich nicht nur aufgrund meiner Andersartigkeit, sondern aufgrund bloßer Ignoranz auf seiten meines Gegenübers scheiße oder unwissend behandelt worden bin. Ich habe aber auch genügend Situationen erlebt, in denen es mir von Vorteil war, anders auszusehen oder ein kultureller Hybrid zu sein. Die Agenturwelt ist dahin gehend ein vergleichbar fortschrittliches und buntes Pflaster, da war Andersartigkeit nie ein Thema. Ich bin aber auch Teil eines ostasiatischen Migrationshintergrundes, der tendenziell als sehr positiv wahrgenommen wird. Ich werde schnell als ehrgeizig, fleißig und gebildet eingeschätzt. Wir dürfen verschiedene Migrationsgeschichten und -hintergründe nicht über einen Kamm scheren. Repräsentanz im Sinne von Diversität hat viel Luft nach oben, besonders im deutschsprachigen Raum, das ist rein statistisch so. „Du kannst nicht sein, was du nicht siehst“, ist ein schlauer Satz, der deutlich macht, dass vor allem große Unternehmen und Organisationen als Schlüsselfiguren in gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Diskursen eine Verantwortung haben, Repräsentanz zu fördern, Diversität sichtbar zu machen.
Das ist ein echt wichtiger Punkt mit der Sichtbarkeit! Und in Bezug auf eure Zusammenarbeit, wo gleichen sich eure Fähigkeiten besonders gut aus, was ist euer Erfolgsrezept als Team?
In erster Linie fahren wir immer ein Vier-Augen-Prinzip. Das mag banal klingen, aber es ist auch menschlich, gerade in den Dingen, in denen man Expertise hat, schnell eine Art von Arroganz und Resistenz aufzubauen. Das gibt es bei uns nicht. Unsere Zusammenarbeit beruht auf dem gegenseitigen Verständnis, dass die andere Person eine zweite Perspektive einbringen kann, bei großen und kleinen Dingen. Wir wollen einander stets besser machen.
Ich glaube, unser Erfolgsrezept ist die Freiheit von der Angst, dass die eine besser in etwas ist als die andere. Wir geben uns regelmäßig Lob und Kritik, sind ganz offen. Dazu zählt auch das gegenseitige Gespür in schlechten Zeiten. Es gibt Tage im Leben, da kann man nicht alles geben. Sei es aufgrund einer Trennung, sei es, weil das Kind rotzt, sei es, weil ein Elternteil krank ist, oder auch nur, weil man komplett zugedröhnt von Schmerzmitteln wegen der Periode ist. Wir haben ein sehr breites Verständnis, weil wir beide überzeugt sind, dass Berufs- und Privatleben stark verwoben sind: Vereinbarkeit ist uns beiden enorm wichtig.
Man darf nicht vergessen, dass wir trotz unserer geschäftlichen Partnerschaft beim Inclusion Indicator, in der wir sehr intensiv als Paar zusammenarbeiten, auch als Einzelpersonen Interessen verwirklichen wollen. Julia ist beispielsweise Lektorin an Fachhochschulen, ich freelance gelegentlich für Agenturen, weil es mir jetzt, da ich es nicht mehr hauptberuflich tue, riesigen Spaß macht. Wir brauchen das als Ausgleich und ermöglichen es uns.
„Die Debatten und Prozesse rund um Diversität und Inklusion sind zumeist emotional getrieben und auf individuelle Erfahrungen beschränkt, was es enorm schwer macht, die Ernsthaftigkeit und GlaubwĂĽrdigkeit des Themas zu stärken.“
Das ist wirklich erfrischend, dieser Ansatz zum Ausgleich und eurem Zugang zur Vereinbarkeit von Karriere und Privatleben. Kommen wir wieder zur Arbeitsebene: „Measure what matters”, ist euer Leitspruch. Wie macht man das ganz konkret, wie habt ihr euer Tool entwickelt?
Wir haben uns bei Beginn der Zusammenarbeit im Konzern die Frage gestellt, wie man die Arbeit im D&I Bereich bestmöglich businessrelevant, glaubwürdig und steuerbar machen kann.
Damals haben wir am Markt kein Tool gefunden – also haben wir es selbst entwickelt. Das war viel Wochenend- und Nachtarbeit, aber auch ein logischer Schritt für uns beide gemeinsam. Unser Ziel war und ist es, Diversitätsmanagement bzw. das Arbeiten im Bereich D&I zu professionalisieren.
Die Debatten und Prozesse rund um Diversität und Inklusion sind zumeist emotional getrieben und auf individuelle Erfahrungen beschränkt, was es enorm schwer macht, die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Themas zu stärken. Umso wichtiger ist es uns, D&I basierend auf Fakten und Daten voranzutreiben und wie jedes andere Geschäftsfeld mittels Messbarkeit greifbar zu machen. Wir messen mit dem Tool und dem zugehörigen Algorithmus anhand rund 100 Datenpunkten und vier Methoden in vier Dimensionen: Daten & Transparenz, Prozesse & Strukturen, Marke & Kommunikation und Kultur & Werte; also in denjenigen Dimensionen, in denen D&I in Organisationen am meisten zum Tragen kommt und verankert sein sollte.
So können wir anderen ein Werkzeug in die Hand geben, das mittels Daten und Evidenz den Grad von Diversität und Inklusion entlang der gesamten Diversitätsskala veranschaulicht. Julia und mir war es extrem wichtig, den Inclusion Indicator methodisch wasserdicht zu machen; dafür haben wir immer wieder Sparrings und Schulterblicke mit internationalen Expert:innen und Akademiker:innen einberaumt.
Frei nach dem Motto: Zwölf Augen sind besser als vier.
Für alle, die das jetzt lesen: Warum sollte jedes Unternehmen auf Diversität und Inklusion bauen? Welches Argument überzeugt die meisten Leader?
Inklusion ist eine Frage der Haltung. Natürlich gibt es unzählige Argumente und Studien, die dafür sprechen, Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz zu fördern. Dennoch sind wir der Überzeugung: Wenn man erst argumentieren muss, um das Tätigwerden im Bereich D&I zu erwirken, hat man schon verloren.
Entweder, Führungskräfte und Organisationen verstehen Diversität und Inklusion gesamtheitlich als Teil ihrer Haltung, Vision und Strategie, oder eben nicht. In letzterem Fall kann man das Geld auch zum Fenster hinauswerfen. Insbesondere in der strategischen Beratung von Unternehmen sehen wir immer recht schnell, ob das Topmanagement es ernst meint oder nicht; beides gibt es reichlich! Demnach sind es nicht Argumente, die überzeugen, sondern geradlinige Überzeugungen, welche Diversitätsmanagement zum Erfolg führen. Glaubwürdigkeit ist ein großes Thema.
Die Frage muss immer sein: Will ich die besten Mitarbeiter:innen in meiner Organisation haben? Dann ist es auch vollkommen egal, woher meine Mitarbeiter:innen kommen, ob sie einen oder zwei Arme haben, mit welchem Geschlecht sie sich identifizieren oder wen sie lieben. Vom Gegenteil, nämlich einem Feigenblatt-Aktionismus, raten wir generell ab. Die Förderung einer holistischen Betrachtungsweise auf Diversität & Inklusion ist unser Ziel und auch das Herz unserer Arbeit als Beraterinnen. Viele Unternehmen haben immer noch Angst, etwas im Bereich D&I anzustoßen oder das Feld „anzugehen“, weil sie sich für zu schlecht halten. Das ist doch vollkommen o. k., solange man ernsthaft versucht, sich dem Thema zu stellen, und transparent dabei bleibt.
Und jetzt bleiben wir auch gleich ganz transparent. Welches Diversitäts-Thema begegnet euch in Unternehmen besonders oft?
Das Erreichen von Geschlechterparität in Führungsfunktionen ist ganz eindeutig und leider immer noch das Thema Nummer Eins. Also Gender Diversität im Sinne von Diversitätsmanagement. Da ist trotz vieler Bemühungen zu wenig weitergegangen in den letzten Jahren. Geschlechter-Diversität hat jedoch ganz viele andere Facetten, die noch lange nicht ausreichend zum Tragen kommen. Gendermedizin ist ein gutes Beispiel, das uns alle betrifft. Mit klaren Definitionen zu arbeiten, ist uns in der Arbeit mit Organisationen besonders wichtig: Gender Diversität ist „nur“ ein Teil des Diversitätsspektrums, Diversität ist nicht gleich Inklusion. Davon ausgehend können erst gesamtheitliche Strategien gefasst und zugehörige Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden.