Sven Ingmar Thies ist good at Zuhören.

Sven Ingmar Thies ist renommierter Designer und Branding-Experte. Doch wie hat er sein Potenzial entdeckt und Fuß in dieser Branche gefasst? Diese und weitere Fragen beantwortet er uns im Interview. Dabei spricht er ebenso ĂŒber die Bedeutung des Lehrens und des Zuhörens. Aspekte, die er in seinem neuen Buch „Teaching Graphic Design“ vereint hat. Das Buch enthĂ€lt inspirierende Interviews mit 24 Persönlichkeiten, die die Grafikdesign-Welt prĂ€gen. Thies zeigt uns, dass es mehr braucht als nur Talent, um erfolgreich zu sein - Leidenschaft, Durchhaltevermögen und Lernbereitschaft.

Sven Ingmar Thies

Lieber Sven Ingmar, freut mich sehr, dass du dir die Zeit fĂŒr das GesprĂ€ch nimmst! Legen wir gleich mal los, du bist Designer, Branding-Experte, Autor und Lehrender an der UniversitĂ€t fĂŒr angewandte Kunst in Wien. ErzĂ€hl doch mal von deinen persönlichen Erfahrungen in deiner Karriere. Wie hast du dein Potential fĂŒr diese Berufe entdeckt, was hat dich fasziniert und worin warst du schon immer gut?

Den Beruf des Gestaltens habe ich schrittweise entdeckt. Beim ersten Praktikum fand ich die handwerkliche PrĂ€zision spannend, mit der gearbeitet werden musste, da es noch keine Computer gab. WĂ€hrend meines Studiums faszinierte mich dann das gemeinsame Arbeiten mit anderen Studierenden. Und dieses Gemeinsame interessiert mich immer noch. Wenngleich sich das Miteinander nun auf Projekte mit Auftraggeber:innen und mit Studierenden in der Lehre bezieht. Insofern entdecke ich den Beruf, die Designpraxis, immer wieder neu mit allen sich weiterentwickelnden Anforderungen. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob Potentiale von einem selbst entdeckt werden oder sich diese oft entwickeln und erst im Machen oder rĂŒckblickend als Begabung eingestuft werden.
Was mich aber bei allem stets begleitet hat, war Neugierde. Ich stelle gerne Fragen – stelle Gegebenes gerne in Frage – und höre gerne zu.

„Das Lernen ist ein Wechselspiel, von dem beide Seiten profitieren. Es gibt kein Oben und Unten, Rechts oder Links, sondern ein Miteinander. Wissen entsteht dann in Kleingruppen, in Diskussionen mit oder ohne mich, aber auch allein mit der gestellten Aufgabe. Es entsteht beim Ausprobieren. Erlangte Erkenntnisse werden zu Wissen.“

Die Erfahrung habe ich auch mit dir gemacht 😉 Wie schon erwĂ€hnt, bist du ja auch Lehrender an der Angewandten und hilfst jungen Kreativen, ihren Weg zu finden. Wie kam es dazu & was ist dein Ansatz, um Wissen zu vermitteln?

Der initiale Kontakt zur Angewandten entstand durch den Freund eines Freundes, also durch Zufall. Ich hatte die Chance, einen Workshop zum Thema Erscheinungsbilder zu halten, und wollte meine Ideale vortragen, aber diese auch in Diskussionen von Studierenden in Frage stellen lassen.
Erfreulicherweise klappte das sofort. Meine anfĂ€ngliche NervositĂ€t ließ nach, als die ersten Diskussionen entstanden. Und dieser Austausch sowie das VerĂ€ndern der eigenen und anderer Standpunkte begeistern mich bis heute, da wir dadurch auch unsere Disziplin, das Gestalten, weiterentwickeln.
Gleichzeitig beschreibt dies meinen Ansatz in der Lehre, ein Begleiter im Lernen sein zu wollen. Denn das Lernen ist ein Wechselspiel, von dem beide Seiten profitieren. Es gibt kein Oben und Unten, Rechts oder Links, sondern ein Miteinander. Wissen entsteht dann in Kleingruppen, in Diskussionen mit oder ohne mich, aber auch allein mit der gestellten Aufgabe. Es entsteht beim Ausprobieren. Erlangte Erkenntnisse werden zu Wissen. Dieses Miteinander lebe ich auch in Projekten meines eigenen Designstudios.

Das klingt toll! Welche Voraussetzungen & Skills sind besonders wichtig deiner Meinung nach, um im „Kreativbereich“ Fuß fassen zu können oder ist alles erlernbar? Was bedeutet KreativitĂ€t generell fĂŒr dich?

FĂŒr mich ist es, wollte man es auf einen Begriff reduzieren, die „unvoreingenommene Neugierde“. Diese Triebkraft, die ich an mir selbst und auch bei den Studierenden erlebe, fĂŒhrt zum Dialog, zum Willen, experimentieren zu wollen, und dadurch zu Erfahrungen. Ob Neugierde, und damit auch KreativitĂ€t, erlernbar ist, weiß ich nicht. Als Lehrender, der die Studierenden begleitet, sollte sie aber auf jeden Fall vorgelebt und durch Situationen, die man im Unterricht schafft, unterstĂŒtzt werden.
Wichtig erscheint mir dabei, neugierig auf alles zu sein. Menschen sind faszinierend. Aber auch neue technische Funktionen einer App können inspirieren. Und auch die Natur erzÀhlt uns viel. SpÀtestens, wenn ich andere Betrachtungsperspektiven einnehme und mit dem Gesehenen oder Erfahrenen spiele.
Gleichzeitig ist Empathie wichtig, um sich in diejenigen hineinversetzen zu können, fĂŒr die man gestaltet. Dies mag manchmal einschließen, kontrĂ€re Ansichten einzunehmen.
Außerdem ist das Zulassen von Fehlern essentiell. Diese sind nichts Negatives, da ich auch durch sie Erkenntnisse erlange. FĂŒr mich geht dies bis zur Frage: Ist nicht jede Idee ein Fehler, weil sie vom Gewohnten, vom vermeintlich „Richtigen“ abweicht?

Jede Idee vielleicht nicht unbedingt aus meiner Sicht, aber ich verstehe was du meinst! Was bestimmt kein „Fehler“ war: deine Entscheidung zu Lehren! Was ist fĂŒr dich das Schönste, was du von deiner LehrtĂ€tigkeit mitnimmst?

Dass ich selbst dazulerne und dass ich Menschen kennenlerne.

Das ist auch das, was mich bei Good At am meisten freut. Ich glaube, die Herausforderungen, die auf uns zukommen bzw. mit denen wir schon jetzt konfrontiert sind, schaffen wir nur gemeinsam. A Propos, kommen wir zu deinem Buch „Teaching Graphic Design“, das die beiden Aspekte ja sehr schön vereint! Und es wendet sich nicht nur an Lehrende, sondern auch an Studierende (obwohl der Titel vielleicht im ersten Moment etwas anderes sagt). Was hat dich dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

ZunĂ€chst wĂŒrde ich die Gruppe derer, an die es sich wendet, gerne noch mehr erweitern: Im Buch geht es um das Lernen, um Kommunikation. Dies sind im universitĂ€ren Umfeld Lehrende und Lernende. Gleiches passiert aber auch in der beruflichen Praxis. Sei dies das GesprĂ€ch mit einer Auftraggeberin oder mit einem Spezialisten, den man zu einem Projekt dazugeholt hat. Immer ist es das Miteinander mit anderen. Wie gehen wir miteinander um? Wie lerne ich im GesprĂ€ch? Wie lernt das GegenĂŒber? Wie erreiche ich Ziele? Und wie setze ich das Zuhören bei all dem bewusst ein?
Lernen erfolgt nicht abgekapselt oder exklusiv in der Ausbildung.
Meine Motivation, das Buch zu schreiben, war, meine eigenen Handlungen in Frage zu stellen, um im Unterrichten besser zu werden. Und ich wollte wissen, wie es andere machen? Ob es „einen besten Weg“ gibt? Was wir von anderen Kulturkreisen lernen können?
Deshalb schrieb ich eigene Erfahrungen auf und interviewte Lehrende in China, Deutschland, Großbritannien, Japan, Österreich und den USA. Neben Grafikdesigner:innen wie Stefan Sagmeister und Rathna Ramanathan gewĂ€hrten auch Spezialist:innen aus anderen Fachgebieten wie z.B. dem Game Design, der Kognitiven Psychologie und dem Industrial Design inspirierende Einblicke. Ich stellte Fragen und hörte zu.

Klingt sehr spannend! Du hast ja unter anderem 24 wirklich faszinierende Personen interviewt fĂŒr das Buch. Was ist bei dir besonders hĂ€ngen geblieben aus den GesprĂ€chen? Gibt es SĂ€tze oder Aussagen, die extrem herausstechen fĂŒr dich persönlich?

Alle interviewten Personen erzĂ€hlen aus Ihren unterschiedlichen Blickwinkeln, wodurch eine große Vielfalt entsteht. Daher gibt es fĂŒr mich nicht „die drei besten Aussagen“. Es gibt aber drei Aussagen, die ich fachĂŒbergreifend und auch fĂŒr die berufliche Praxis interessant finde:
Takeshi Sunaga, der in Tokyo Information Design unterrichtet, lĂ€sst seine Studierenden vor der ersten Unterrichtseinheit unterschreiben, dass alle Ideen frei sind und von Mitstudierenden weiterentwickelt werden dĂŒrfen.
Der Industrial Designer Fritz Frenkler leitet seine Studierenden an, Produkte zu verhindern. Bevor viel Geld in Produktentwicklungen hineinfließt, möchte er mit Unternehmen herausfinden, ob sich diese Investition lohnt. Ist dies ein Ansatz, der sich auf Grafikdesign, auf Kommunikationsdesign, ĂŒbertragen lĂ€sst? Ist jeder Kommunikationskanal sinnvoll? Wie gehen wir mit QuantitĂ€t und QualitĂ€t um?
Rathna Ramanathan, die in London das Central Saint Martins leitet, verweist darauf, dass Studierende im Studium realisieren, zuerst als Menschen zu agieren. Dies klingt vielleicht zunĂ€chst abstrakt, hat aber weit ĂŒber das Studium hinaus Bedeutung.

Schöne Insights, vor allem der letzte.
Wovon du jetzt schon öfter gesprochen hast: dem „Zuhören“. Das Thema scheint dir ja besonders am Herzen zu liegen (mir auch, ĂŒbrigens). Glaubst du, es wird generell zu wenig zugehört, auch außerhalb der Designwelt? Auch das Thema „Feedback“ ist dir sehr wichtig. Wie muss es aus deiner Sicht aussehen, dass man es fĂŒr sich am besten nutzen kann?

Ich glaube, dass das Zuhören zu wenig bewusst eingesetzt wird. Dies gilt sowohl fĂŒr die Designwelt als auch fĂŒr vieles außerhalb dieser.
Eine Möglichkeit, das Zuhören bewusster einzusetzen, entsteht zum Beispiel, indem man den Gestaltungsprozess, an dem mehrere Personen beteiligt sind, aufgliedert. Stark vereinfacht gibt es die fĂŒnf Handlungen fragen, zuhören, sagen, ĂŒberdenken und machen. Diese wechseln sich ab und folgen keiner starren Reihenfolge. Wo kann ich das Zuhören stĂ€rker einsetzen? Was Ă€ndert dies? Lasse ich alle zu Wort kommen? Äußere ich zu schnell eigene Ansichten? Wie motiviere ich ein Team zu Bestleistungen? Immer geht es darum, Dinge auszuprobieren, anders zu machen.
Durch das Zuhören ĂŒbertrĂ€gt man die Verantwortung fĂŒr das Vorankommen auf die sprechende Person. An der UniversitĂ€t sind dies Studierende, im Beruf sind es alle beteiligten Personen eines Projekts. Das Ziel sollte stets sein, dazuzulernen.
Und auch im Feedbackprozess ist das Zuhören wichtig. NatĂŒrlich stellt man auch Fragen, aber das, was nach den Fragen kommt, das Zuhören, erscheint mir wichtig, weil es zu eigenen Erfahrungen und Ideen fĂŒhrt. Deshalb versuche ich auch in der Lehre, mich immer mehr zurĂŒckzunehmen und motiviere die Studierenden, sich gegenseitig Feedback zu geben.

„Ich glaube, dass das Zuhören zu wenig bewusst eingesetzt wird. Dies gilt sowohl fĂŒr die Designwelt als auch fĂŒr vieles außerhalb dieser.“

Wie funktioniert das? Wenn sich die Studierenden gegenseitig Feedback geben?

Oft hilft die eröffnende Frage, wie man ĂŒberhaupt helfen kann, was sich die Studierenden wĂŒnschen.
Vielleicht verdeutlicht ein Beispiel am Besten, was ich meine: Semesteraufgabe war es, das Erscheinungsbild fĂŒr ein neues GetrĂ€nk zu schaffen. Weißwein kombiniert mit Mate und Holunder. Neben dem Geschmack ist die Flaschengestaltung wesentlich, die parallel zur Entwicklung des Logos und anderer Medien erfolgte. Die Studierenden arbeiteten daran in Kleingruppen zu zweit. In einer Unterrichtseinheit sollte es Feedback zur Flaschengestaltung geben. DafĂŒr habe ich je zwei Gruppen an einen runden Tisch gebeten. Meine Aufgabe ist es dabei, zuzuhören und die Studierenden im Fragen und Zuhören besser werden zu lassen. Es geht darum, Beobachtungen und Ansichten mitzuteilen und zuzuhören. Ab und zu wird auch mir eine Frage gestellt, zum Beispiel was ich zu einer Idee meine. Diese Frage gebe ich weiter an eine der Gruppen. Wird Kritik zu hart formuliert, merken das die Studierenden meist selbst. Wenn nicht, ist es meine Aufgabe, darauf aufmerksam zu machen. Auch dies kann durch Fragen erfolgen, um in der Rolle des Zuhörenden zu verbleiben.
Solche Situationen beschreibe ich im Buch in vielen Kapiteln, um Prozesse und das Miteinander erfahrbarer werden zu lassen.

Wie siehst du generell die Zukunft fĂŒr Gestalter:innen, gerade in Bezug auf KI und der irrsinnigen technologischen Entwicklung, in der wir uns gerade befinden? Ich persönlich glaube, dass der Wert von kreativem Denken in Zukunft eher steigen wird, vor allem wenn man diese spezielle Art, zu denken, auf andere Bereiche ĂŒbertrĂ€gt. Wie siehst du das?

Ich glaube, dass der Wert des kreativen Denkens sogar jetzt bereits geschĂ€tzt wird. Dies sieht man seit Jahren an vielen Orten. Designprozesse werden an einigen UniversitĂ€ten als Querschnittsfunktion fĂŒr andere FĂ€cher verpflichtend gelehrt. Und es ist schöner Weise keine Einbahnstraße, da Designer:innen ebenso von Personen aus anderen Fachgebieten und von deren Herangehensweisen lernen.
Gleiches geschieht im Gestaltungsprozess in der Designpraxis. Auftraggeber:innen werden in Prozesse eingebunden. Es ist nicht die gestaltende Person, die alles weiß und erdenkt, sondern Inhalte und Ideen werden gemeinsam entwickelt.
KĂŒnstliche Intelligenz kann dabei unterstĂŒtzen. Sie ersetzt heute schon handwerkliche TĂ€tigkeiten beziehungsweise vereinfacht diese. Sie kann VorgĂ€nge beschleunigen und kann auch inspirieren, wird aber nicht das Miteinander und den Austausch zwischen Menschen ersetzen.

Das glaube ich auch. Es wird die Arbeitswelt, bzw generell unsere Welt, sehr verĂ€ndern, aber ersetzen wird es niemanden so schnell, eher mehr Jobs generieren, Menschen die Möglichkeit geben, ganz anders zu arbeiten als bisher usw. Ich sehe da eher die Möglichkeiten als die Probleme, um ehrlich zu sein. Wenn wir’s clever einsetzen
es bleibt spannend!
Vielen Dank fĂŒr das tolle und inspirierende GesprĂ€ch!

Dein Buch ist ab sofort hier erhÀltlich.

WeiterfĂŒhrende Informationen zum Buch:
teachinggraphicdesign.com
thiesdesign.com

Fotos: Katja, Hasenöhrl, Volker Schrank, Thies Design

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