Lieber Thiemo, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst!
Ich bin ein großer Fan vom Fifteen Seconds Festival und freu mich darauf, ein wenig mit dir über deinen Werdegang und deine Vision zu sprechen! Du hast ja einen eher “unüblichen” Werdegang, mit 15 die Schule verlassen, das ist ja jetzt nicht der “klassische” Weg.
Lieber Patrik, vielen Dank für die Einladung zum Gespräch. Es ist schön zu hören, dass dir gefällt, was wir mit dem Festival aufgebaut haben, und ich hoffe, wir sehen uns im Juni in Graz! Mein beruflicher Weg hat begonnen, als ich mich früh für Design und Technologie interessiert habe. Ich hatte damals meine Leidenschaft erkannt, Dinge zu gestalten und anschließend umzusetzen und damit aus einer bloßen Idee tatsächlich Realität werden zu lassen. Design wird oft auf die visuelle Gestaltung reduziert. Im Kern kann Design aber viel mehr. Indem es sich nicht nur auf das Produkt selbst konzentriert, sondern auf die Gestaltung des gesamten Erlebnisses. Es geht darum, ein Verständnis für die Bedürfnisse und Erwartungen der Kund:innen oder Nutzer:innen zu entwickeln und darauf basierend Erlebnisse zu gestalten, die nicht nur funktional und intuitiv sind, sondern auch ästhetisch überzeugen und emotional berühren.
Als ich 15 Jahre alt war, waren das erste Projekte aus dem Bekanntenkreis; hauptsächlich kleine Webseiten, Markenauftritte und Print-Anwendungen. Ich war gemeinsam mit meinem Schulfreund Joris selbstständig, wir haben uns ein Büro geteilt und haben dort nach der Schule, meist bis spät in die Nacht, gearbeitet.
Na klar bin ich wieder am Start im Juni! Freu’ mich schon!
Mutige Entscheidung…wie konntest du deine Eltern davon überzeugen, dass du für dich in dem Moment das Richtige tust? Oder war das gar nicht nötig?
Meine Eltern davon zu überzeugen, war tatsächlich zuerst eine Herausforderung. Sie haben dann aber doch sehr schnell gesehen, dass ich mich mit sinnvollen Dingen beschäftige und einen Weg verfolge, auf dem ich meiner Leidenschaft nachgehe und damit auch erfolgreich sein kann — und mich dann auch dabei unterstützt und bekräftigt.
Einige Jahre später hat mich diese Leidenschaft für Design dann zur gemeinsamen Gründung von Fifteen Seconds mit meinem Co-Founder Stefan gebracht. Auch hier beschäftigen wir uns von Anfang an damit, Erlebnisse so zu gestalten, dass sich Menschen bei uns wohlfühlen, Kontakte knüpfen können, etwas Neues lernen können und sich inspirieren lassen können.
Ist euch sehr gut gelungen! Wie hast du “deins” gefunden, und was glaubst du, würde anderen helfen, die sich schwer damit tun?
Mir wurde in meiner Schulzeit — vor allem von vielen meiner Lehrerinnen und Lehrer — attestiert, dass ich scheitern würde. Ich hatte schlechte Noten und kaum Interesse an den Inhalten des Unterrichts. Heute kann ich daraus meine Antwort auf deine Frage schließen: Im Leben nicht zu viel auf die Gründe hören, die andere Menschen finden, warum man nicht erfolgreich sein wird. Wenn man an sich selbst glaubt, ist das schon die halbe Miete. Die Hürden, die z.B. eine berufliche Selbstständigkeit mit sich bringt, sind herausfordernd genug, da ist es deutlich einfacher, die Stimmen von Nein-Sagern und Pessimisten hinter sich zu lassen. Trotzdem muss man an dieser Stelle auch sagen: Selbstständig zu sein oder ein Unternehmen aufzubauen fühlt sich anfangs lange so an, als ob man von einer Klippe springt und auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zusammenbaut. Das ist nicht unbedingt für jede Person der passende Weg.
„Selbstständig zu sein oder ein Unternehmen aufzubauen fühlt sich anfangs lange so an, als ob man von einer Klippe springt und auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zusammenbaut.“
Stimmt. Gab es eine Zeit, wo es dir besonders schwer fiel, Leistung zu erbringen? Wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Ich hatte bisher das Glück, meinen Pfad immer bewusst selbst wählen und gestalten zu können. Es gibt im Unternehmer-Dasein immer Herausforderungen – leichte und schwere. Allerdings ist es mir deswegen noch nie besonders schwergefallen, dafür Leistung zu erbringen, weil ich mich entschieden habe, einen beruflichen Weg zu gehen, der auch anspruchsvoll und fordernd sein kann.
Wie hast du deine Agentur-Zeit erlebt, und wie glaubst du, dass sich die Branche verändern muss, um fit für die Zukunft zu sein?
Ich habe etwa zehn Jahre in der Branche gearbeitet, knapp sechs davon bei dem Strategie- und Designunternehmen moodley. Als Partner war ich für den Geschäftsbereich Digitale Produkte verantwortlich und habe ein Team von 35 Designer:innen, Berater:innen und Entwickler:innen aufgebaut. Es waren wahnsinnig intensive und lehrreiche Jahre für mich. Begeistert hat mich vor allem die intensive Zusammenarbeit mit großartigen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen – sowohl im Team als auch auf Kundenseite.
Perspektivisch glaube ich, dass es sehr viel Agilität und Veränderungsbereitschaft braucht, wenn es um die Gestaltung eines zukunftssicheren Agenturmodells geht. Meine Beobachtungen und Schlüsse für die Zukunft der Branche lassen sich in drei Thesen zusammenfassen:
Von der Dienstleistung zum Produkt
Kunden bevorzugen klare Deliverables und wollen weniger Retainerverträge. Services von Agenturen transformieren sich immer häufiger zu ausformulierten, strukturierten Produkten mit einem klar definierten Umfang. Dadurch werden Leistungen – auch Kreativleistungen – vergleichbarer und greifbarer für die Kundinnen und Kunden.
Vom Agenturteam zur Projektplattform
Die Ambitionen der großen Beratungshäuser, Digital-, Kreativ- und Designagenturen im großen Stil zu kaufen und zu integrieren, sind seit Jahren in vollem Gange und teilweise bereits sehr erfolgreich etabliert. Das bekannteste Beispiel im DACH-Raum ist wahrscheinlich Accenture. Der entscheidende Wettbewerbsvorteil, der sich dadurch ergibt, ist die Möglichkeit, rasch ein globales, interdisziplinäres Projektteam zusammenzustellen: die besten Köpfe, egal, wo sie sitzen. Und für Leistungen, die in anderen Märkten deutlich kostengünstiger sind, entsteht neben dem inhaltlichen Vorteil auch noch ein ökonomischer Vorteil, der an den Kunden weitergegeben werden kann.
Es wird ernst mit der Nachhaltigkeit
Das, was vor einigen Jahren noch die Fleißaufgabe für Agenturen war, wird zunehmend zur Voraussetzung: eine überzeugende und transparent belegbare Strategie für ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Immer mehr, vor allem große Auftraggeber sind mittlerweile gesetzlich dazu verpflichtet, die Anstrengungen in diesen Fragen ihrer Agenturen mitzuverantworten. Das sorgt schon jetzt für viel Umbruch und wird in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen.
„Die Zukunft wird den “People Companies” gehören. Jene Organisationen, die ihre Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen.“
Das hast du jetzt sehr strukturiert auf den Punkt gebracht! Seh ich genauso. KI wird da auch noch ein Wörtchen mitreden, aber das ist ein Thema für wann anders 😉
Wie schaffst du es generell, selbst diszipliniert zu sein und wie gehst du mit Motivationstiefs um?
Mein „Go-to“ in Motivations- oder Kreativitätstiefs ist Sport. Eine Stunde Workout hilft fast immer, wieder mit einem frischen Kopf durchzustarten.
Voll, raus aus dem Kopf! Kommen wir zu deinem “Baby”, dem Fifteen Seconds. Wie kam es dazu und wie ist das damals entstanden? Ist ja ein Wahnsinn, wie sich das entwickelt hat…
Wir waren damals frustriert vom Angebot am Markt. Es gab siloartige Konferenzen und wenig Interdisziplinäres. Wir haben, bevor wir Ende 2012 angefangen haben, am ersten Festival zu arbeiten, einige internationale Konferenzen besucht und waren in New York, Montreal, Amsterdam, Berlin und einigen anderen Städten bei Tech-, Innovations- und Designkonferenzen. Bei jedem Format gab es etwas, was wir mitnehmen konnten. Entweder weil es uns inspiriert hat, es ähnlich zu gestalten, oder weil wir uns gedacht haben: Das muss besser gehen.
Was dann 2014 mit rund 1300 Teilnehmenden begonnen hat, hat sich über die letzten zehn Jahre zur führenden interdisziplinären Zukuftskonferez in Europa entwickelt.
Seit der Gründung arbeiten wir nach wie vor unermüdlich daran, mit unserem Festival Silos aufzubrechen und die unterschiedlichsten Branchen, Themen, Disziplinen, aber auch Karrierelevel miteinander zu vernetzen und gemeinsam über eine Zukunft nachzudenken, in der wir leben und arbeiten wollen. Dabei steht das Prinzip des lebenslangen Lernens (sowohl für Organisationen als auch für Individuen) im Mittelpunkt.
Richtig gut! Ich fand den Move spannend, dieses Jahr die Mainstage zum Thema “Personal Growth” zu besetzen. Warum glaubst du oder ihr, dass das Thema so wichtig ist? (Ich glaube das auch, übrigens 😉
Statt nur hart zu arbeiten, glauben wir, dass es im Beruflichen und auch in anderen Lebensbereichen sinnvoller ist, auch ständig an sich selbst zu arbeiten, wenn man vorankommen möchte. Und dabei geht es nicht um eine “Hustler-Mentalität”, sondern vielmehr um einen ausbalancierten Weg, kurz- und langfristige Wertschöpfung sicherzustellen. Und unter dem Motto: “A better you results in a better company” sind wir auch davon überzeugt, dass Organisationen eine Summe der Stärke ihrer Individuen sind und somit mehr Unternehmen in die persönliche Weiterentwicklung von Mitarbeitenden investieren sollten. Die Zukunft wird den “People Companies” gehören. Jene Organisationen, die ihre Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen Fifteen Seconds stark daran ausrichten, vor allem Unternehmen dabei zu unterstützen, emotionale Fähigkeiten aufzubauen und zu stärken.
Welchen Ansatz verfolgst du, um ein gutes Team aufzubauen und die richtigen Kandidat:innen zu finden?
Ich kann mich sehr gut mit “Hire for Attitude, Train for Skill” identifizieren und habe diesen Ansatz bisher auch immer so gelebt. Und den Charakter erkennt man nicht auf Lebensläufen oder Zeugnissen. Daher versuche ich in Bewerbungsgesprächen so viel wie möglich über den Menschen zu erfahren. Wie tickt die Person? Wie gut kann die Person sich selbst führen? Was den Aufbau von erfolgreichen Teams angeht, so bin ich Verfechter des “Leadership as a Service“-Ansatz. Hier verstehen sich Führungskräfte in Organisationen nicht als hierarchisches Oberhaupt, sondern stellen die Unterstützung der Mitarbeitenden Höchstleistungen zu erbringen, in den Vordergrund.
Wie denkst du, kann man sich in der Berufswelt weiterentwickeln? Gibt es Ansätze, die du selber verfolgst? Und wie siehst du die Zukunft der Arbeitswelt mit allem, was auf uns zukommt?
Ich glaube das, was die meisten Menschen antreibt, ist sich zu entwickeln. Es wird viel über “Purpose” in Unternehmen gesprochen, und doch ist dieser selten im Alltag wirklich spürbar. Wir stark man an seinen Aufgaben wachsen kann, das kann jede:r sehr gut verfolgen. Ich denke, dass das Thema “Lernkurve” noch stärker in der Vordergrund bei Arbeitgebenden rücken wird. Die Definition von Erfolg ist für die überwältigende Mehrheit schon längst kein rein Finanzielle, sondern geht hin zu einem ganzheitlichen Verständnis, das Faktoren wie Wohlbefinden, die Qualität von Beziehungen und die Wirkung von Arbeit mit einbezieht.
Zum Abschluss ein Blick nach vorne: Wie sieht die Zukunft von Fifteen Seconds aus?
Wir wollen in den kommenden Jahren neue Formate entwickeln, wie wir, zusätzlich zum jährlichen Festival und unserer Offsite-Serie Fifteen Seconds Alps, vor allem Organisationen dabei helfen können, in ihren Teams emotionale Fähigkeiten aufzubauen und zu stärken. Wir sehen viel Potenzial, wie Unternehmen davon profitieren können, wenn Mitarbeitende laufend ihre Fähigkeiten abseits der Hard Skills ausbauen. Die Zusammenarbeit wird effektiver, Veränderungen können besser gemeistert werden, die Produktivität ist höher. Zusammen mit unserem internationalen Speakernetzwerk und unserer Kernkompetenz, inspirierende Inhalte und Erlebnisse zu gestalten, wollen wir diesem Potenzial nachgehen.
Super. Ich bin gespannt! Vielen Dank für das tolle Gespräch, lieber Thiemo!
Mehr zum Fifteen Seconds gibt es hier!