„Wenn in einem Team eine AtmosphĂ€re herrscht, die es jedem Mitglied ermöglicht, die eigene Persönlichkeit voll und ganz auszuleben, sind die besten Ergebnisse garantiert.â
Liebe Vera, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst! Steigen wir mal direkt ein! Du bist ja irrsinnig umtriebig, sowohl mit deinem eigenen persönlichen Coaching-Business, dem Konzept 2WO mit Hannes Sonnberger gemeinsam, Sie&Ich Strategieberatung, deine LehrtĂ€tigkeiten ua in St Pölten, Linz, Wien und KĂ€rnten und der Podcast âDie Machtzentraleâ… wow! Was macht dir denn am allermeisten SpaĂ? Oder was liegt dir besonders am Herzen?
Mein Projekt âdie Macht Zentraleâ ist momentan mein Liebling, da mir meine Mission, Macht neu zu verteilen, ganz besonders wichtig ist. Ich habe in meiner Arbeit als Coachin in den letzten Jahren beobachtet, wie distanziert Frauen vom Thema Macht sind, wie sehr sie sich eigentlich davor fĂŒrchten, und das will ich mit meinem Projekt Ă€ndern. Denn Macht per se ist nicht problematisch, es kommt vielmehr darauf an, was wir mit ihr machen. Wir mĂŒssen auch verstehen, dass sie nicht verschwindet, wenn wir sie ignorieren, sondern dass sie nur ohne uns stattfindet. Das ist wie mit der Kommunikation: âWir können nicht nicht kommunizierenâ (Paul Watzlawick).
Aber natĂŒrlich betrachte ich all meine Arbeit holistisch, alle die von dir genannten Puzzlesteine fĂŒgen sich sehr gut ineinander. Das Gesamtbild macht mich aktuell sehr glĂŒcklich und erfĂŒllt mich.
Klingt toll! Lass uns vielleicht kurz zu Anfang zurĂŒckgehen und ĂŒber deinem Werdegang sprechen. In deinem âersten Lebenâ warst du ja schon extrem erfolgreich, Mitglied der GF bei BBDO und dann als Managing Directorin bei DDB. Was hat dich dazu bewogen das sein zu lassen und mehr oder weniger nochmal von vorne zu beginnen?
Da waren mehrere KrĂ€fte im Einsatz – Einerseits wollte man nach meiner Babypause nicht mehr, dass ich als Managing Directorin zur DDB zurĂŒckkehre, obwohl das eigentlich so vereinbart war und andererseits habe ich mehr und mehr gespĂŒrt, dass ich ready fĂŒr was eigenes war. Die Geburt meines Sohnes hat einiges an meinem Wertekonzept verĂ€ndert und meine Perspektive auf das Wesentliche war eine neue. Das habe ich ganz intensiv gespĂŒrt und daher bin ich diesem inneren Ruf nachgegangen.
Nochmals neu zu beginnen war prickelnd, sexy und dennoch hart zugleich. Ich gestehe: Ich mag solche Herausforderungen!
Immer wieder raus aus der Komfortzone, richtig so! Wie hat sich deiner Meinung nach die Branche verĂ€ndert im Gegensatz zu frĂŒher? Wo siehst du Chancen? Der Leidensdruck wĂ€chst ja langsamâŠ
Nachdem ich zahlreiche Coachees aus meiner âaltenâ Branche betreuen darf, sehe ich natĂŒrlich sehr genau, was sich wie bewegt und welche Pain Points immer schmerzhafter werden.
Durch Digitalisierung, verĂ€ndertes Mediennutzungsverhalten, konstante Fragmentierung und einhergehende Spezialisierung der Kommunikationsdisziplin ist es mittlerweile sehr schwierig, dem Kunden ein echt integriertes Angebot zu machen. Die Vertreter der alten Strukturen probieren jedoch weiterhin, das zu tun und versuchen damit auch ihre gewohnten und liebgewonnenen Territorien zu verteidigen. Und das funktioniert einfach nicht mehr. An alten Strukturen festhalten, wĂ€hrend drauĂen der âWind of Changeâ weht, war noch nie eine gute Idee.
FĂŒr viele âApparateâ und Konstrukte sehe ich tatsĂ€chlich gar keine Zukunft. Diejenigen, die jedoch offen sind, sich von Grund auf neu zu erfinden, die bereit sind, auch den unbequemen Weg zu gehen und vielleicht das ein oder andere abzustoĂen und aufzugeben, werden am ehesten ĂŒberleben.
Das glaube ich auch. Was fĂŒr ein berufliches Umfeld brauchen Menschen aus psychologischer Sicht, um optimal performen zu können?
Es gibt eine fantastische Studie von Google genau dazu, was es braucht, damit Teams high performances liefern können. DafĂŒr wurden mehrere Teams ĂŒber einen Zeitraum von 5 Jahren beobachtet und deren Arbeitsweisen analysiert. Herausgekommen ist etwas sehr Erstaunliches: Das SahnehĂ€ubchen bezogen auf die Teamleistung liefert die sogenannte âSocial Safetinessâ. Das bedeutet, wenn in einem Team eine AtmosphĂ€re herrscht, die es jedem Mitglied ermöglicht, die eigene Persönlichkeit voll und ganz auszuleben, sind die besten Ergebnisse garantiert.
Vielleicht klingt das zuerst mal banal, aber wenn wir uns diesbezĂŒglich ehrlich reflektieren und auch unseren FĂŒhrungsstil hinterfragen, sehen wir, dass es einiges dazu braucht, um ein solches Klima zu kultivieren.
âIn the past jobs were about muscles, now theyâre about brains, but in future theyâll be about the heart.â
Dame Minouche Shafik
Absolut richtig. Wie mĂŒssen/mĂŒssten Teams denn aufgestellt sein? Und was hĂ€ltst du von der Trennung von Fach- und FĂŒhrungskarriere? Gang und GĂ€be im englischsprachigen Raum, aber in der deutschsprachigen Branche höchst selten. WĂŒrde in den Agenturen sicher einen riesen Unterschied machen, zumal viele Kreative quasi aufsteigen mĂŒssen frĂŒher oder spĂ€ter, sonst fĂ€llt man hinten runterâŠ
Da möchte ich gern etwas ausholen. Oft werden bis heute gewisse Skills als âhardâ und andere wiederum als âsoftâ bezeichnet. Diese Unterteilung ist dramatisch veraltet bzw. hat sie sich zum Teil komplett umgedreht. Die sogenannten âSoft Skillsâ gewinnen immer mehr an Bedeutung und mittlerweile haben das auch schon einige verstanden. âHire for attitude, train for skillsâ ist ein Motto, das aus dieser Ăberlegung entsteht. Und damit sind auch die alten, klassischen Karrierewege in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu ĂŒberarbeiten. Die Trennung von Fach- und Leadership-Karriere ist mal ein erster Schritt, hier zu differenzieren. Weitere Ideen zur Diversifizierung werden folgen mĂŒssen.
Dame Minouche Shafik, Direktorin der London School of Economics and Political Science hat mal gesagt: âIn the past jobs were about muscles, now theyâre about brains, but in future theyâll be about the heart.â Und so sehe ich das auch. Damit ist auch deine erste Frage beantwortet: Teams brauchen auch viel Herz!
âIn der Erziehung der nĂ€chsten Generation wird MĂ€dchen nicht mehr eingetrichtert, dass es der beste Weg ist, allen zu gefallen, lieb und brav zu sein.â
Das Zeitalter der Empathie đ Da die manchmal/oft gefehlt hat, haben in der Vergangenheit viele Menschen die Branche verlassen. Was ist da deine Erfahrung? Was machen die alle jetzt?
Ich glaube direkt danach erholen sie sich mal. Und dann geht fĂŒr sehr viele eine Sinnsuche los. Die meisten suchen nach etwas, wo sie mehr ihres eigenen Wertekonzeptes realisieren können, denn das kommt in der Werbebranche leider manchmal zu kurz.
Stimmt. FĂŒr die Sinnsuche braucht es Reflektion, und das ist oft einfacher mit einem professionellen GegenĂŒber finde ich. Warum tun sich trotzdem MĂ€nner deiner Meinung nach so schwer in Therapie oder zum Coaching zu gehen, im Gegensatz zu Frauen? Und siehst du da eine VerĂ€nderung?
Verallgemeinern will ich das nicht. Aber ich weiĂ schon, was du meinst. Und tatsĂ€chlich erkenne ich Muster in meiner Arbeit, die aus den klassischen Rollenbildern stammen, die dem Mann eine starke, nahezu unfehlbare, versorgende und beschĂŒtzende Aufgabe zuschreiben. Aus dieser Position heraus ist es fĂŒr viele schwierig, ĂŒber Probleme, Unsicherheiten, Sorgen etc. zu sprechen. Aber wir machen Fortschritte! Dem Universum sein Dank kommen auch viele MĂ€nner in mein Coaching und ich freu mich sehr, dass es einige MĂ€nner wagen, aus diesem gesellschaftlichen Korsett auszubrechen.
Super! Wir sind also auf dem ârichtigen Wegâ đ a propos: Female Empowerment, dein groĂes Thema. Was hat sich aus deiner Sicht schon geĂ€ndert, was muss sich noch Ă€ndern?
Im Moment Ă€ndert sich gerade einiges. Die Awareness zu dem Thema ist so groĂ wie noch nie und das ist toll! Aber natĂŒrlich ist es noch ein weiter Weg ans Ziel und es braucht noch viel Anstrengung und Engagement von uns allen. Wenn ich einen Wunsch diesbezĂŒglich frei hĂ€tte, dann wĂ€re es dieser: âIn der Erziehung der nĂ€chsten Generation wird MĂ€dchen nicht mehr eingetrichtert, dass es der beste Weg ist, allen zu gefallen, lieb und brav zu sein.â
Was bedeutet Gleichberechtigung fĂŒr dich im Arbeitsleben?
Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt ist, wenn die Arbeit von uns allen in jeglicher Hinsicht gleich bewertet wird, ganz unabhÀngig davon, welches Geschlecht, Herkunft, Alter, sexuellen Vorlieben, Philosophie usw. unsere IdentitÀt bestimmen.
Hattest du je das GefĂŒhl, dich als Frau in einer Höheren Position mehr behaupten zu mĂŒssen als zum Beispiel ein Mann in derselben Position?
Ich hatte bisher sehr viel GlĂŒck in meinem Leben und dafĂŒr bin ich auch sehr dankbar. Ich wurde immer sehr gefördert und hatte tolle Mentor*innen, die sich fĂŒr mich eingesetzt haben. Interessanterweise erkenne ich erst in den letzten Jahren immer mehr vor allem strukturelle MissstĂ€nde, die dazu fĂŒhren, dass ich mich als Frau mehr anstrengen muss.
Was unterscheidet Frauen und MĂ€nner in so einer Position aus deiner Sicht?
Dadurch, dass es fĂŒr Frauen wesentlich schwieriger ist, in fĂŒhrende Positionen zu gelangen, ist der Weg dorthin, meiner Beobachtung nach ein bewussterer und es findet mehr Reflexionsarbeit statt.
Spannende Perspektive⊠hast du in dem Zusammenhang mal selbst einen Rat bekommen, den du als schrecklich empfunden hast?
Ja! Letztes Jahr hat mir ein Vorstand eines Energieunternehmens geraten, ich sollte das Wort âKarriereâ vermeiden, denn es mache mich eher unsympathisch. Die ganze Geschichte dazu findest du in meinem Buch âDie Macht Zentraleâ, das am 8.3.2023 erscheint.
Ich glaub du hast das mal bei einem Workshop erzĂ€hlt⊠unfassbar. Aber das Buch kaufe ich natĂŒrlich trotzdem đ
Was sind die hÀufigsten Fragen und Themen in deinen Coachings? Was beschÀftigt die Menschen aktuell am meisten?
Oh, das ist sehr individuell. Es gab wÀhrend der ersten beiden Pandemie-Jahre einen starken Trend in Richtung Sinnsuche, jedoch sind mittlerweile die Themen wieder ganz breit gefÀchert. Und das liebe ich an meinem Beruf!
Das glaubâ ich dir. Sehr interessant die Reflektion der aktuellen Weltlage in den Menschen mitzuerleben und auch zu begleiten. Eine Frage hĂ€tte ich noch zum Schluss: Wo siehst du die Chancen zwischen den Generationen? Wie wir ja bei der Podiumsdiskussion beim Fair Work gesehen haben, treffen da ja Welten aufeinanderâŠ
Der Generationskonflikt wird immer intensiver, was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass wir als Menschheit immer Ă€lter werden. Stellen wir uns mal zum Beispiel einen heute 55-jĂ€hrigen vor. Wenn es aus verschiedensten GrĂŒnden dumm lĂ€uft, nimmt er sich zum Beispiel aus der technologischen Entwicklung raus, weil ihn das schlicht und ergreifend nicht mehr interessiert. Wird dieser Mensch zum Beispiel 95 Jahre alt, sprechen wir von 40 Jahren Paralleluniversum. Ich glaube, das wird noch eine Mega-Challenge fĂŒr unsere Gesellschaft.
Das was wir hier unbedingt brauchen, ist eine gemeinsame Sprache. Denn mit dieser wÀre der Austausch zwischen den Generationen enorm fruchtbar. Eigentlich sollten wir es zu Nutze machen, dass wir durch die gesteigerte Lebenserwartung eine Vielfalt an lebenden Generationen in unserer Gesellschaft haben.