Liebe Désirée, freut mich, dass wir es nach langer Zeit nun doch zum Gespräch geschafft haben. WOMENTOR ist eine beeindruckende Organisation. Könntest du uns zu Beginn erzählen, wie die Idee zur Gründung von WOMENTOR entstanden ist? Welche persönlichen Erfahrungen haben dich dazu motiviert, dich so intensiv für die Förderung von Frauen und Minderheiten einzusetzen?
Aus der Perspektive der Gründerin Désirée Jonek-Lustyk: Als weiße, relativ privilegierte junge Frau aus der Mittelschicht habe ich in meinem Leben glücklicherweise nicht sehr viel Diskriminierung erfahren müssen. Es gab jedoch den Moment in meiner Karriere, als ich bemerkte, dass ich mich häufig alleine als Frau in Räumen der Macht befinde. Je höher die Position, desto weniger Frauen schien es zu geben. Es gab einen Schlüsselmoment, bei dem ich die verantwortungsvolle Position inne hatte, ein strategisches internationales Projekt zu leiten. Das Team bestand neben mir aus 9 weißen Männern um die 40 Jahre. Und was passierte, als wir uns erweitern wollten? Jeder weiße Mann schlug einen weiteren weißen Mann vor. Das war der Moment, in dem ich realisiert habe: Wenn ich jetzt nicht handele und eingreife, dann wird sich nichts ändern. Dann wird der Frauenanteil in diesem Team immer weniger, wir werden immer einheitlicher – dabei hatten wir wahnsinnig viele qualifizierte Frauen in der Firma! Ich habe also aktiv dagegen gearbeitet und dem Team klargemacht, welche Kompetenzen – und Dimensionen der Vielfalt – uns noch fehlen. Das haben alle verstanden, und wir haben uns dementsprechend strategisch erweitert. Schockiert hat mich damals trotzdem: Wieso fällt das nur mir auf? Wieso sagt sonst niemand etwas dazu? Deswegen habe ich weitergemacht, und wir haben WOMENTOR mit einem tollen Team 2019 gegründet, um weiterhin unsere Stimme zum Thema Vielfalt und Fairness zu erheben
„Es gab den Moment in meiner Karriere, als ich bemerkte, dass ich mich häufig alleine als Frau in Räumen der Macht befinde.“
Ihr betont bei WOMENTOR, dass nicht die Frauen oder Minderheiten sich ändern müssen, sondern das System. Welche konkreten Veränderungen strebt ihr an, um diese Strukturen zu durchbrechen, und wie setzt ihr das in der Praxis um?
Mit WOMENTOR legen wir den Fokus besonders darauf, Frauen und Minderheiten in der Arbeitswelt zu stärken. Uns ist es wichtig, dass die Verantwortung für strukturelle Ungleichheit in der Gesellschaft nicht auf Frauen oder Minderheiten umgelegt wird – nach dem Motto ‘Lasst euch mal coachen, damit ihr endlich selbstbewusster werdet und geeigneter für Führungspositionen’. Stattdessen plädieren wir an Unternehmen, daran zu arbeiten, inklusiver zu werden. Das bedeutet oftmals, neue Maßstäbe zu setzen, zum Beispiel für die Bewertung von Leistung. Ein Beispiel: Wenn ich von Führungskräften in meinem Unternehmen ständige Verfügbarkeit erwarte, schließe ich damit automatisch und strukturell Personen mit Care-Verantwortung und in Teilzeit Beschäftigte aus. Für die systematische Veränderung in der Arbeitswelt braucht es neue und inklusive Lösungen und Maßstäbe für Unternehmen. Mit unseren Beratungsdienstleistungen unterstützen wir Unternehmen zum Beispiel dabei eine individuelle DEI Strategie in Richtung einer inklusiven und vielfältigen Unternehmenskultur zu definieren und umzusetzen, um so faire Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen.
Mit über 1.200 Mitgliedern habt ihr eine beachtliche Gemeinschaft aufgebaut. Was sind aus deiner Sicht die Schlüsselfaktoren für den Erfolg eures 1:1 Mentoring-Programms? Und gab es besondere Herausforderungen, die ihr dabei meistern musstet?
Uns gibt es mittlerweile seit 5 Jahren – wir haben viel gelernt und Erfahrungen gesammelt in den letzten Jahren, was ein richtig gutes Mentoring ausmacht. Zu unseren Erfolgsfaktoren zählen die persönliche und individuelle Auswahl der passenden Mentorinnen und Mentoren aus unserer Datenbank mit mittlerweile über 250 registrierten Mentor*innen, auf die wir sehr stolz sind. Wir haben dafür extra einen Matchin Algorithmus entwickeln lassen, der es uns ermöglicht, passgenaue Mentoring Beziehungen zu schaffen, von denen sowohl Mentee als auch Mentorin nachhaltig profitieren. Dazu bekommen wir viele schöne Rückmeldungen von den Teilnehmerinnen, die es dank des Mentorings schaffen ihre Ziele in der Karriere zu erreichen, oder sich neu zu orientieren, oder endlich das eigene Business zu starten. Außerdem begleiten wir die Programm-Teilnehmerinnen während des gesamten Mentoring-Jahres, indem wir als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen und bei Fragen oder Herausforderungen helfen. Neben dem individuellen Mentoring sind unsere Netzwerktreffen bei der Community beliebt, um wertvolle Kontakte zu knüpfen und voneinander zu lernen – auch zum Bereich Diversity & Inclusion bieten wir dazu thematische Schwerpunkte, wie zum Beispiel Inclusion oder auch das Thema Care Work.
Herausforderungen begegnen uns zum Beispiel bei der individuellen Auswahl der Mentorinnen, dem Kernstück der Arbeit am Mentoringprogramm. Die persönlichen Interviews und das Onboarding neuer Mentorinnen sind zeitintensiv und erfordern erhebliche Ressourcen – oftmals suchen wir sogar gezielt nach passenden Personen, wie im Headhunting. Um den perfekten Match für jede Mentee gewährleisten zu können, bedarf es, neben der Auswahl aus unserem bestehenden Pool an Mentorinnen, auch proaktiver Ansprache potenzieller Mentorinnen aus unserem Netzwerk und darüber hinaus – tatsächlich richtiges ‘Headhunting’. Diesen Aufwand sieht man oft nicht direkt, aber es ist uns extrem wichtig, dass wir die passenden Personen im Mentoring miteinander verbinden. Richtiges ‘Matching’ eben!
„Wir möchten Veränderung anstoßen und den Status quo infrage stellen, um eine nachhaltigere und gerechtere Welt zu schaffen.“
Ihr legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und die sozialen Auswirkungen eurer Arbeit. Wie messt ihr den Erfolg eurer Initiativen und was waren bisher die bedeutendsten Ergebnisse?
Wir sind in diesem Jahr sogar als Verified Social Enterprise ausgezeichnet worden, was uns sehr stolz macht und unsere wichtige gesellschaftliche Arbeit würdigt. Um dieses Label tragen zu dürfen, haben wir die Verpflichtung, einen Wirkungsbericht zu erstellen. Das heißt, wir messen unsere Daten auf unterschiedlichen Wirkungsebenen, von Input (was wir reinstecken, z.B. an Stunden, Ressourcen oder Investitionen) über Outputs (z.B. unsere Zielgruppenerreichung, Aktivitäten und Events, die stattfinden…) bis hin zu sogenannten Outcomes – auf der Ebene erwirken wir eine Änderung das Wissen und auch der Fähigkeiten, und schließlich des Verhaltens unserer Zielgruppe. So befragen wir beispielsweise unsere Programmteilnehmerinnen nach ihren Erfolgen und Erfahrungen nach dem Abschluss unseres Programms. Die Ergebnisse zeigen, dass rund 34 % aller Teilnehmerinnen ihr Selbstbewusstsein durch die Teilnahme am Programm steigern konnten. 38 % haben eine Gehaltserhöhung erwirkt und 68 % setzen sich jetzt selbst für die Unterstützung von Minderheiten ein, durch gesteigertes Bewusstsein, welches sie durch unsere Programme und Inhalte erlangen.
Mit WOMENTOR beratet ihr Unternehmen bei der Implementierung inklusiver Unternehmenskulturen. Wie stellt ihr oder du sicher, dass eure DEI-Beratung tatsächlich langfristige Veränderungen bewirkt und nicht nur als vorübergehender Trend wahrgenommen wird?
Um eine langfristige Veränderung zu schaffen, setzen wir auf langfristige Zusammenarbeit mit Unternehmen. Anstelle hier und da vereinzelte Maßnahmen zu setzen, empfehlen wir unseren Kundinnen immer zunächst eine individuelle DEI-Strategie zu erarbeiten. Klare Ziele zu haben und die passenden Maßnahmen zur Erreichung festzulegen, hilft maßgeblich dabei, langfristig erfolgreich zu sein. Natürlich begleiten wir unsere Kundinnen dabei, diese Strategie zu entwickeln. Falls diese Prozesse (noch) nicht freigegeben worden sind, haben wir aber auch einen pragmatischen Zugang, denn es ist besser, mit dem Thema über einen ersten Awareness-Workshop zu beginnen, als es niemals zu beginnen.
WOMENTOR operiert als Social Business. Wie schafft ihr es, die wirtschaftlichen Anforderungen mit eurer sozialen Mission in Einklang zu bringen? Welche Herausforderungen oder Kompromisse müsst ihr dabei manchmal eingehen?
Limitierte (finanzielle) Ressourcen sind eine unserer größten Herausforderungen als Social Business. Ausgaben und Investments müssen gut priorisiert und strategisch eingesetzt werden. Wir haben keine so großen Marketingbudgets wie beispielsweise For-Profit-Unternehmen und sind daher auch auf die Unterstützung durch unsere Kooperationspartner angewiesen.
Zum Abschluss: Was sind eure langfristigen Ziele und Visionen für WOMENTOR? Wie seht ihr die Rolle eurer Initiative in der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft?
Unsere langfristige Vision für WOMENTOR ist es, einen nachhaltigen Beitrag zur Gleichstellung in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft zu leisten. Wir gestalten eine Zukunft, in der Vielfalt und Inklusion gelebte Realität sind. Wir werden unsere Community und unsere Programme kontinuierlich erweitern, um noch mehr Menschen zu mobilisieren und gemeinsam positive gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Sehr schöne Worte zum Abschluss, liebe Désirée! Hier können wir alle noch mehr dazu beitragen, damit diese Vision auch wirklich Realität wird.
Weitere Informationen zu WOMENTOR und den Angeboten der Organisation findest du hier.
bietet jetzt auch Beratung zum Thema Diversity, Equity & Inclusion (DEI) an – mehr dazu erfährst du hier.
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Désirée Jonek-Lustyk & Josefine Schulze